Home Belgien, Frankreich, Schweiz 2008 – 98min.
Filmkritik
An der Autobahn
Der erste Langspielfilm der Westschweizerin Ursula Meier - ein unkonventionelles psychologisches Drama über eine etwas andere Hausbesetzung - besticht durch seinen ungewöhnlichen Schauplatz und ein grandioses Schauspielensemble.
Selten waren Autos bedrohlicher, ihr Lärm nervtötender als in "Home". Eine Familie hat sich in einem Haus direkt neben einem stillgelegten Autobahnabschnitt ihr Zuhause eingerichtet. Die skurril-charmante Idylle wird jäh zerstört, als die Autobahnstrecke renoviert und wieder eröffnet wird. Jetzt rasen lärmige Blechmonster vorbei, und Laster verpesten die Luft. Die Familie lebt in einer Art Kommune zusammen: Jeder lässt den anderen machen, die Liebe zwischen Eltern und Kindern ist freundschaftlich, verspielt. Doch in der Beziehung der fünf, die anfangs warmherzig und sympathisch wirkt, entwickelt sich zusehends eine ungesunde Dynamik, die beinahe in der Katastrophe endet.
Die Ausgangslage von Ursula Meiers erstem langen Spielfilm ist grossartig. Umgesetzt in oft schwebenden, einnehmenden Bildern, führt ihr Film mit Sogwirkung in die Abgründe einer Familienstruktur. Die Regisseurin selber nennt ihre Geschichte die "Umkehrung eines Roadmovies": Vieles bewegt sich, aber keiner bewegt sich wirklich vom Ort. Die Familie bleibt und trotzt den Bauarbeitern und Autofahrern. Einmal bewegen sich Mutter und Kinder voller Würde durch die im Stau stehenden, gaffenden Urlauber. Schliesslich hilft aber nur noch die vollständige Isolation von der Umwelt. Wie in einer grausligen Geschichte Edgar Allan Poes mauern die verzweifelten Eltern sich und ihre Kinder nach und nach ein, um sich von dem unerträglichen Autolärm zu schützen.
Hoch anzurechnen ist Meier, die in Frankreich und in der Schweiz aufgewachsen ist und in Brüssel Film studierte, dass sie zwei bekannte Schauspieler gegen den Strich besetzt hat: Wunderbar, die noble Isabelle Huppert für einmal so versifft, punkig zu sehen. Ungeheuer zerbrechlich und stark zugleich hält sie die Familie zusammen trotz ihrer inneren Aufgewühltheit; grossartig ist auch Olivier Gourmet - normalerweise in der Tristesse der Gebrüder Dardenne zuhause - zur Abwechslung als sensibler Vater mit Rockstarattitüde besetzt. Eine Entdeckung ist der zehnjährige Kacey Mottet Klein. Er ist herausragend in der Rolle des ruhelosen, neugierigen Nesthäkchens Julien.
"Home" lief 2008 in Cannes in einer Sondervorstellung der Sektion «Certain Regard». Solche radikale und eigensinnige Schweizer Filme wünschte man sich öfter.
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Kommentare
tolle film über entgleisung einer familie wegen externe umstände... die autobahn wird in betrieb genommen, wie sie reagieren auf diese überlast ist gut gebracht... tolle climax, gutes ende
Zum Thema 'Kleine(r) Mann/Frau/ harmlose Familie gegen heranrollende Technik' gibt es bereits genug Filme, die schlüssiger, verrückter und vor allem sympathischer waren, was Ihre Darsteller anbetrifft. Wo soll das Idyll sein? Es ist eher peinlich, der Familie bei Ihren merkwürdigen Badezimmeraufenthalten und Kratz- und Kraulveranstaltungen zuzusehen. Frau Huppert in Ihrer Rolle als Proll-Mutter kann das verkorkste Drehbuch auch nicht retten, das vor Unglaubwürdigkeiten strotzt: Eine Familie ohne ein einziges Handy; eine Autobahn, die niemals in Frankreich stehen könnte (zu schmal), weil sie ja auch in Bulgarien steht. - Wenn dann am gleichen Abend noch ein toller CH-Film wie 'Grounding' am TV kommt, fällt ein bemühtes Machwerk wie 'Home' leider noch stärker ab.… Mehr anzeigen
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