Le théâtre des opérations Frankreich, Schweiz 2008 – 86min.
Filmkritik
Zuhause im Operationssaal
Weniger schlimm, als man denkt: Der Dokumentarfilm des Westschweizers Benoît Rossel begleitet Chirurgen des Universitätsspitals Lausanne bei ihrer täglichen Arbeit.
Ein Arm liegt scheinbar reglos auf dem Operationstisch. Vom Chirurgen sind nur seine Hände zu sehen, die mit engen Plastikhandschuhen den Arm für den bevorstehenden Eingriff desinfizieren. Isoliert vom Rest des Körpers, wird der Arm zu Material von Handwerkern, die den Auftrag gefasst haben, den menschlichen Körper in Stand zu halten. Sie entfernen einen Blinddarm oder Tumore, amputieren Beine oder legen Herzschrittmacher. Der Operationssaal ist ihre Werkstatt, die strikten Zugangsbedingungen und strengsten Hygienevorschriften unterliegt.
Mit grosser Präzision wird dem Zuschauer diese exklusive Werkstätte näher gebracht. Wir begleiten den jungen Assistenzarzt Nikos auf einem Stück seines Spiessrutenlaufs nach oben, sind dabei bei Rapporten, Visiten und sehr vielen Operationen. Allmählich wird klar, welchen Regeln dieser Mikrokosmos unterliegt. Gefragt sind vor allem "hard skills" wie Ehrgeiz, Durchhaltewillen und Disziplin - und die Bereitschaft, einen Grossteil seines Privatlebens aufzugeben. Dennoch sind Menschen am Werk, die anders als Roboter Launen unterliegen, Fehler machen und vor allem mit viel Leidenschaft ihre Arbeit verrichten.
Mit derselben Ausdauer und Faszination macht sich der Regisseur Benoît Rossel an die analytische Sezierung eines Berufsstands. Gleichzeitig fällt der Dokumentarfilm durch sorgfältig komponierte und desaturierte Bilder und einer kühlen Ästhetik auf. Anders als in den zahlreichen Ärzteserien und Konsumentenformate sind die Bilder in "Le Théâtre des Opérations" merkwürdig unblutig. Befreit von dieser Blutrünstigkeit gleicht der Film stellenweise den Zeichnungen eines Anatomie-Atlasses. Unter der Hautdecke eröffnet sich eine wundersame Anordnung von Muskeln und Organen, ein Muster von Windungen und Verstrebungen. Ein Einblick, der nicht nur die Faszination der Ärzte nachvollziehbar macht, sondern auch Parallelen zieht, zur Freilegung der hierarchischen Strukturen und militärisch organisierten Abläufen eines Operationsbetriebs durch den Film. Diese Wechselwirkung von Form und Inhalt ist spannend und verblüffend.
Schade nur, dass Rossel seinem Material offenbar zu wenig vertraut. Gleich zu Beginn wirft er via Voice-Over die Frage nach Leben und Tod und dem Sitz der Seele auf. Mag sein, dass diese Fragen Rossels ursprüngliche Motivation waren, den Film zu realisieren. Doch diese philosophische Ebene wirkt wenig organisch. Fast bekommt man den Eindruck, Rossel wolle seinem Werk künstlich mehr Gewicht und Tiefgang verleihen, um es von den populären Arztserien und billigen Schönheitsoperationenssendungen abzugrenzen. Dass es sich bei "Le Théâtre des Opérations" aber nicht um eine weitere Folge von "Tag und Nacht" handelt, ist auch so problemlos zu erkennen.
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