Séraphine Belgien, Frankreich, Deutschland 2008 – 125min.

Filmkritik

Von Engeln, Kunst, und anderem Wahnsinn

Geri Krebs
Filmkritik: Geri Krebs

Martin Provost verfilmt das tragische Leben von Séraphine Louis, genannt Séraphine de Senlis (1868 - 1942), einer der wichtigsten Vetreterinnen naiver Kunst in Frankreich, zu einem bewegenden Biopic und lässt darin Yolande Moreau über sich hinauswachsen.

Am Ende des 19. Jahrhunderts entsteht der Allgemeinplatz vom genialen Künstler, der im stillen Kämmerlein sitzt, grossartige Werke schafft, und dabei langsam dem Wahnsinn verfällt bevor er einsam stirbt. Es ist die Epoche, als erstmals ein Kunstmarkt im heutigen Sinne entstand, und es ist die romantische Projektion vom verkannten Genie, die diesen neuen Markt beflügelt. Ihr berühmtester Repäsentant ist Vincent van Gogh.

15 Jahre später als Van Gogh wird in einem nordfranzösischen Bauerndorf Séraphine Louis geboren. Nach Jahren als Hirtenmädchen und danach als Angestellte in einem Kloster, arbeitet die einzelgängerische Frau als Dienstmädchen und kann in dieser Eigenschaft im Jahre 1912 bei dem Kunstsammler Wilhelm Uhde arbeiten. Dieser Deutsche, der zuvor in Paris gelebt und dort zu den Entdeckern Picassos und Henri Rousseaus gehört hatte, entdeckt ihre in der Freizeit gemalten Bilder mit Naturmotiven und ist davon begeistert. Er beginnt die Frau, die in ihrem bisherigen Leben immer unten durch musste, zu fördern. Sie erlebt eine kurze Zeit des Erfolgs, doch dann machen sich ihre religiös geprägten Wahnvorstellungen immer mehr Platz, und sie wird zum psychiatrischen Pflegefall.

Die Belgierin Yolande Moreau verkörpert dieses tragische Frauenschicksal vor dem Hintergrund grosser politischer Umbrüche (1.Weltkrieg, Weltwirtschaftskise) mit so geballter Intensität, dass man darob glatt vergisst, nicht in einem Dokumentarfilm über Kunst und Wahnsinn zu sein. Und Ulrich Tukur als Kunstsammler Wilhelm Uhde ist hier in einer seiner besten Rolle seit Langem zu sehen. Er wirkt in seiner Zurückhaltung, gepaart mit einer ungeheuren Begeisterungsfähigkeit, die nie ins Theatralische abdriftet, absolut authentisch und glaubwürdig. Dass er als Deutscher, Jude und Homosexueller in Frankreich gleich in dreifacher Weise ein Aussenseiter war, macht es verständlich, dass er sich der marginalisierten Séraphine annahm - und die Art und Weise wie Regisseur Provost diese Beziehung als sublimierte platonische Liebe mit allen Hochs und Tiefs inszeniert, gehört zu den Höhepunkten dieses etwas episch langen Biopics.

Wer gerne Malerei im Film sieht, kommt voll auf seine Kosten; doch die grösste Kraft erreicht "Séraphine" dort, wo die Protagonistin mit ihren wallenden dunklen Gewändern in ihrer symbiotischen Verbundenheit mit der Natur aufgeht. Das ist mystisches Versinken am Rande des Wahnsinns, für die der sich langsam entwickelnde Film berauschend schöne Bilder und auch ein Ende findet, das unter die Haut geht.

31.05.2021

4

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Kommentare

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zimch

vor 15 Jahren

Angenehmer ruhiger Film, sehr schöne Landschaftsbilder, gute schauspielerische Leistung der Hauptdarstellerin. Zum teil etwas in die länge gezogene Passagen.


güx

vor 15 Jahren

... es lohnt sich, sich auf diesen Film einzulassen.
Eine sehr spannende Geschichte, dramatisch und wahrheitsgetreu mit tollen Schauspielern umgesetzt. Ulrich Tukur in der Rolle des Kunstsammlers kann endlich mal wieder seine Schauspielkunst zeigen, und Yolande Moreau (die Concierge aus "Amélie") lebt ihre Rolle so intensiv, dass es eine wahre Freude (und zum Teil fast unheimlich) ist.
Ich kannte die Malerin Séraphine Louis nicht; auch ihre Geschichte war mir unbekannt. Wir hatten Séraphine als Vorfilm, und ich wusste sofort, den muss ich sehen.
Er eignet sich allerdings wie eingangs erwähnt nicht als "Film für zwischendurch", dazu ist er zu sperrig und zu unkonventionell.

Allen, die einen nicht alltäglichen Film sehen möchten, kann ich Séraphine nur empfehlen.Mehr anzeigen


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