Dorfpunks Deutschland 2009 – 90min.
Filmkritik
Ein Punk im Kornfeld
Dorf und Punk, geht das zusammen? 1984 ist mit einigen Jahren Verspätung der Punk auch an der holsteinischen Ostseeküste angekommen und verleitet die Dorfjugend zu entsprechenden Posen von mehr oder minder gelungener Authentizität. Denn in Ermangelung urbaner Insignien, gegen die subkulturgemäß rebelliert werden könnte, tummelt man sich hier gemeinsam im - zugegeben farbenprächtig in Szene gesetzten - Kornfeld.
Töpferlehrling Malte Ahrens, Punkname «Roddy Dangerblood», verbringt mit seinen Kumpels Sid, Flo, Günni, Piekmeier und Fliegevogel jede freie Minute - und derer gibt es ziemlich viele - mit «einer Dose gute Laune» in der Hand und dem Hunger nach Freiheit und Anders-Sein im Herzen. Äußerlich passiert nicht viel: Man pendelt beständig rauchend und trinkend zwischen Feld, Strand und örtlichem Marktplatz, flieht vor den vereinzelten Attacken der Rechten, mischt Partys auf, wagt unbeholfene Knutschversuche, beehrt die Dorfdisco mit Pogo und revolutionärer Attitüde oder philosophiert am Lagerfeuer. Dort kommt den Jungs die rettende Idee - eine Band muss her. Von mangelnden Instrumentalkenntnissen und völliger Talentfreiheit lässt sich hier niemand abschrecken, das stand schließlich den Sex Pistols auch nicht im Weg. Geübt wird auf Malte «Roddys» Dachboden zum Leidwesen seiner friedensbewegt-diskutierfreudigen Eltern. Der Bandname wechselt täglich, nur die Qualität der musikalischen Darbietung verbessert sich nicht. Während der Sommer seinem Ende zugeht, driftet die Gruppe zunächst fast unmerklich auseinander bis sich zeigt, dass sich die Interessen der Freunde völlig verschieden entwickeln.
«Dorfpunks» ist die Adaption von Rocko Schamonis autobiographischem Roman und - genau wie Lars Jessens letzter Film «Am Tag als Bobby Ewing starb» - ein echter Heimatfilm. Dementsprechend liegen die Stärken im genauen Beobachten deutscher Befindlichkeit in einer norddeutschen Kleinststadt in den 80er Jahren. Doch so amüsant und liebevoll gezeichnet diese filmischen Vignetten auch sind, über die Dauer eines Langfilms tragen sie nicht wirklich. Obwohl sich die Leinwandadaption von der episodischen Struktur der literarischen Vorlage löst, fehlt eine überzeugende Gesamtdramaturgie. Man guckt zu, wie die Jungs leben und doch verbinden sich Musik und Lebensgefühl kaum zu einem berührenden Ganzen. Die «Dorfpunks» werden fast ausnahmslos von Laiendarstellern verkörpert und dieses - nicht zuletzt von Rocko Schamoni selbst eingeforderte - «Konzept der unbekannten Gesichter» in Tradition der frühen Buck oder Lemke-Filme geht gut auf, unterstützt wird die Jugendmannschaft von Altprofi Axel Prahl als Kneipenwirt mit Mentorfunktion. Doch auch wenn die Darsteller sich alle Mühe geben, richtig nah kommt man dem Figurenensemble nur selten, zu stereotyp sind die Charaktere gestaltet, zu überfrachtet manchmal die visuelle Umsetzung. So bleibt leider das Hauptthema der Freundschaft und die daran geknüpfte Frage nach notwendiger individueller Entwicklung auf Kosten des Gruppenzusammenhalts emotional auf der Strecke.
Trotz dramaturgischer Schwächen und eher stereotyper Charaktere überzeugt Jessens zweite Leinwandarbeit aber als sympathisches Zeitporträt mit bemerkenswertem Soundtrack. Im Gesamteindruck erstaunlich konventionell, aber nett - mehr Dorf als Punk also.
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