Aisheen (Still Alive in Gaza) Israel, Katar, Schweiz 2010 – 87min.
Filmkritik
Kaleidoskop aus grauen Trümmern
Der Dokumentarfilm von Nicolas Wadimoff und Béatrice Guelpa legt in surreal-poetischen Bildern die Absurdität des Kriegsalltags in Gaza offen. Leider ein bisschen einseitig.
Bereits 2005 dokumentierte der Filmemacher Nicolas Wadimoff mit der Journalistin Béatrice Guelpa die Lage im Nahostkonflikt. Damals glimmte mit der möglichen Aufteilung des umstrittenen Landes noch ein Fünkchen Hoffnung auf eine friedliche Lösung. Im Frühjahr 2009, kurz nach der zynisch genannten "Operation Gegossenes Blei" ist dies in Gaza kein Thema mehr. Die Wunden sitzen mittlerweile auf palästinensischer und israelischer Seite zu tief, sind über zu viele Generationen verteilt, als dass eine Heilung noch möglich scheint. Szenen wie die folgende zeigen es drastisch: Ein alter Mann erzählt von seiner Familie, die sich einst inständig um ihren Olivenhain kümmerten, während er mit seinen Söhnen noch die Reste der toten Bäume einsammelt. Was bleibt ist öder Erdboden und die Verzweiflung in den Gesichtern.
Solche Bilder gibt es hier reichlich. Kaleidoskopisch reihen sie sich im Laufe der Reise durch das Grau der Trümmer aneinander, ziehen von einem Schicksal zum nächsten und zeichnen so ein weitläufiges Spektrum der Absurdität des Kriegsalltags in Gaza. Vom zerstörten Jahrmarkt über verhungernde Tiere im Zoo oder Clowns, die die Angst der Kinder zu mindern versuchen, während in der Nähe der Schule Bomben einschlagen, bis hin zu Jugendlichen, die sich zum Märtyrertod bekennen, entrollen die zwischen morbider Poesie und eiskalter Verzweiflung changierenden Momentaufnahmen eine unheilvolle Perspektive für die Zukunft der palästinensischen Jugend. Resignation, wohin die Kamera schaut. Da erscheinen die Rapper der Gruppe Darg Team wie ein Hoffnungsschimmer. Sie singen vom Alltag in Gaza und dessen Wiederaufbau, leisten couragiert Widerstand mit Worten.
Aber nicht nur die Zuversicht ist aus Gaza verschwunden, auch die Gegensicht der Israelis ist abwesend, genau wie die Stimme des Filmemachers. Wadimoff verzichtet in "Aisheen" auf jegliche Form der Erklärung oder Kontextualisierung. Lediglich kurze Betitelungen der einzelnen Szenen sowie eine Einführung zu Beginn des Films ermöglichen eine ungefähre geografische wie zeitliche Orientierung. Diese Entscheidung hat eine Konzentration auf die Bilder und die Zeugnisse der Betroffenen zur Folge. Das Warum tritt für den Moment hinter dem unmittelbaren Eindruck des Leids zurück, das Fühlen der Szene stellt sich vor ihr komplexes Verstehen. So bietet "Aisheen" einen würdigen, humanitären Zugang zur vielschichtigen Problematik des Nahostkonflikts, verfällt jedoch in seiner radikalen Begrenzung auf das palästinensische Schicksal einer bedenklichen Einseitigkeit.
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