La dernière fugue Kanada, Luxemburg 2010 – 91min.
Filmkritik
Eine Familie nimmt Abschied
Léa Pool hat in ihrer langen Karriere schon wesentlich komplexere Filme gedreht als dieses geradlinige Melodrama. Doch so herzzerreissend wie hier hat man die in Kanada lebende Schweizerin noch selten erlebt.
Einmal intoniert Anatole (Jacques Godin) eine Fuge von Bach auf der Heimorgel zu ziemlich unpassender Zeit. Es ist nachts um drei Uhr, und der Patriarch hat wieder einmal einen seiner gefürchteten Ausbrüche, mit denen er seine Frau (Andrée Lachapelle) und seine vier Kinder regelmässig terrorisiert. Doch das ist über 30 Jahre her, jetzt ist der Mann in einem erbarmungswürdigen Zustand. Er wird von Parkinson-Schüben geschüttelt, doch sein Wesen von früher scheint er auch jetzt nicht verleugnen zu können. Es ist ein Weihnachtsabend, und die Familie hat sich versammelt. Alle sind sie mit Partnern und Kindern gekommen, doch Anatole ist auch jetzt nicht unbedingt ein Sympathieträger. Störrisch sitzt er mit am Tisch, schockiert mit seinen unkontrollierten Bewegungen und seinen unartikulierten Lauten die ganze Runde, doch man merkt irgendwann: Er möchte vor allem in Ruhe gelassen werden, sein Zustand ist ihm peinlich.
Nach und nach begreift man, was in dieser Familie so abläuft. Immer wieder flackern verwackelte Bilder aus Super-8-Familienfilmen über die Leinwand, zeigen einen Mann, dessen grosse Leidenschaft das Fischen in den Seen und Flüssen der kanadischen Wildnis war, und der dabei nichts lieber tat, als seinen ältesten Sohn (Yves Jacques) einem stetigen Wechselbad aus Fürsorge und Psychoterror auszusetzen. Aber man begreift auch, warum seine Frau von ihm damals fasziniert war und wieso sie auch jetzt immer zu ihm hält.
Im Roman "Une belle mort" von Gil Courtemanche, der La dernière fugue zugrunde liegt, war Anatole ein Monster, der sich im Angesicht seines nahenden Todes zu wandeln beginnt. Léa Pool hat es nun in ihrer filmischen Adaptation geschickt vermieden, derart plakativ zu sein. Immer wieder legt sie in dieser herzzerreissenden Geschichte um das unvermeidliche Ende kleine falsche Fährten, und zeigt, je länger dieses komplizierte Gestrüpp aus verklärten Erinnerungen, filmischen Schnippseln und einer schmerzlichen Gegenwart dauert, dass ihr jegliches Schwarz-Weiss-Denken zuwider ist.
Meist in ausgewaschenen Pastell-Farben gehalten (Kamera: Pierre Mignot) vermittelt dieser herbstlich-winterliche Mikrokosmos einer sich wieder findenden Familie trotz melodramatischem Grundton immer wieder auch Momente feiner Ironie. Denn wenn selbst gute Katholiken Angst haben davor, dass "danach" nichts mehr kommt - wie es einmal an einer Stelle heisst - dann liegt der Schluss doch nahe, dass es wohl das Beste ist, hier und jetzt achtsam miteinander umzugehen. Das vermittelt La dernière fugue mit grosser Eindringlichkeit.
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Kommentare
Léa Pools Sterben eines Patriarchen geht ans Herz und an die Nieren.
ein wunderschöner berührender film!! lebensbejahend bis in den tod. lea pool entwickelt den film und die figuren mit viel herz und gefühl - auch für das für das diffizile thema. zauberhaft!
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