Der Italiener Schweiz 2011 – 84min.
Filmkritik
Zwischenstation Sehnsucht
Sehr bekömmlich, sogar für Nichtzürcher: Der Dokumentarfilmer Paolo Poloni porträtiert die Angestellten eines Restaurants, in dem er selber gerne speist.
Schon der Titel: hübsch ironisch. Am Ende wird kein Italiener mehr in der Pizzeria arbeiten, die in jenem Zürcher Stadtkreis zu Hause ist, der wohl nur deshalb noch "Industriequartier" heisst, weil man hier so fleissig ausgeht. Als letzter hat der Koch aus den Abruzzen den weissen Hut genommen. Geblieben sind die Tamilen, Afghanen, die Bosnier - gekommen ist ein Albaner, ein Pakistani, eine Filipina. Man spricht Deutsch im "Santa Lucia", gebrochen in der Regel, ein paar Brocken Italienisch vielleicht und versteht sich trotzdem. Meistens, jedenfalls.
Auch Paolo Poloni sitzt oft hier - hinter seiner dicken Brille, dem schwarzen Notizbuch, die Kamera in Griffnähe. Er hat italienische Wurzeln, zuletzt einen klugen Film über das jüdische Erbe Thessalonikis gedreht und spricht weise Sätze aus dem Off, die man auf die weissen Zuckertütchen drucken sollte. "Manchmal fehlt uns die Kraft, uns das Leben der Anderen vorzustellen" wäre so einer, und Poloni denkt dabei eher nicht an die lokale Prominenz, die es auch in seine Stammkneipe zieht. (Wann kriegt Max Rüdlinger wieder mal eine richtige Rolle?)
Aber das ist ein Dokumentarfilm, und Poloni interessiert sich nicht für "grosse" Namen, sondern die unaussprechlichen, die anders-fremden. Da ist zum Beispiel Bulbul, ein Afghane, ihn hat es auf Umwegen in die Schweiz verschlagen. Das wird ein paar Monate gedauert haben? "Neun Jahre", die knappe Antwort. Abdul, ein Landsmann, auch er ist in der Küche gelandet, hat auf der sowjetischen Seite gekämpft. Mehr mag er von sich nicht preisgeben, seine Geschichte bleibt seine Geschichte.
Auch das ist so angenehm an Polonis Art: Dass er die Angestellten in Ruhe lässt, die vielleicht sogar mehr zu erzählen hätten, als die köstlich schnatterhafte Kellnerin aus Bosnien, die sich vorgenommen hat, das Träumen zu lassen, weil sie keine Kraft mehr habe, Enttäuschungen zu erleben, oder die Italo-Serbin mit den roten Lippen, die sich von ihrem Mann nicht mehr den Mund verbieten lassen will und ihm trotzdem nach Ligurien folgt, wo er, nur er, ein Restaurant eröffnen will. Und was hat wohl der Tamile erlebt, der immer erst morgen über sein Woher befragt werden will?
Nicht wirklich gebraucht hätte es die Mummenschanziade vor der Fensterfront oder die nächtliche Kamelkarawane, all' das unwirklich Fellinihaft-Burleske, das Poloni immer mal wieder zwischen schwere Arbeit und leichte Gespräche schneidet. Da hat das zufällig Eingefangene mehr poetische Kraft - die Bilder sich umarmender Passanten unter der Markise nach einem Sommergewitter etwa. Viel näher kann man filmisch einem Ort nicht kommen.
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