Das bessere Leben Frankreich, Deutschland, Polen 2011 – 96min.

Filmkritik

Binoche und Bourgeoisie

Patrick Heidmann
Filmkritik: Patrick Heidmann

Nirgends wird die Tristesse der Bourgeoisie so ausgiebig und mit Hingabe behandelt wie im französischen Kino. Und besonders eindringlich fällt die Analyse aus, wenn ausländische Regisseure ihren Blick auf die vermeintliche Idylle von Frankreichs gehobenem Mittelstand richten.

In ihrem ersten französischsprachigen Film erzählt die polnische Filmemacherin Malgorzata Szumowska von der Journalistin Anne (Juliette Binoche), die es sich in ihrem materiell sorgenfreien Alltag samt Mann und Söhnen ziemlich bequem eingerichtet hat. Dass manches an der vermeintlichen Geschmeidigkeit ihres Lebens doch eher Schein als Sein ist, realisiert Anne allerdings erst durch eine Geschichte, die sie für ein Magazin recherchiert.

Für eine Reportage über Studentinnen, die sich ihr Geld als Callgirls verdienen, trifft sie sich mit der aus Polen kommenden Alicja (Joanna Kulig) und Charlotte (Anaïs Demoustier), die es aus der französischen Provinz nach Paris verschlagen hat. Anne ist fasziniert von ihren Erzählungen, ihrer Mischung aus Lebenslust und Ehrgeiz und der unerwarteten Selbstsicherheit. Dass auch die jungen Frauen nach außen eine Fassade aufgebaut haben, führt sie sich zunächst nicht vor Augen - und beginnt plötzlich, ihre eigene Existenz so lange zu hinterfragen, bis sie die Orientierung zu verlieren droht.

Von moralischen Bewertungen nimmt Szumowska Abstand, was vor allem mit Hinblick auf ihr - letztlich inkonsequentes - Bild der Prostitution nicht jedem gefallen dürfte. Ihr das oder womöglich mangelnden Realismus in der Beschreibung der jungen Frauen vorzuwerfen, führt allerdings nicht weit. Zu offensichtlich ist Elles als Versuchsanordnung angelegt, der es weniger um Authentizität als um das bewusste Gegenüberstellen unterschiedlicher Lebensentwürfe und bis zu einem gewissen Grad auch von Weiblichkeitsbildern geht.

Wie so oft bei Versuchsanordnungen hält leider aber auch hier die Plakativität Einzug, während die Figuren in ihrer Zeichnung flacher bleiben als wünschenswert. Sex als Ware, die Enge des goldenen Wohlstandskäfigs, Fragen nach Selbstbestimmung, weiblicher Solidarität und Feminismus - all diese Themenkomplexe werden von Szumowska aufgemacht, aber nicht ausreichend mit Leben gefüllt, um deren Komplexität wirklich gerecht zu werden und ihren Film zu einem überzeugenden Abschluss zu bringen. Umso lauter muss man einmal mehr das Loblied auf Juliette Binoche singen. Es gibt derzeit kaum eine Schauspielerin, die so überzeugend und mit einer solchen Leichtigkeit wirklich jede einzelne ihrer Rollen bis in die letzte Faser ausfüllt (und dabei nicht zuletzt die Mittelklasse-Pariserin in all ihren Nuancen perfekt beherrscht). Auch Elles ist letzten Endes nur ihretwegen der Rede wert.

18.02.2024

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Kommentare

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filmfan4

vor 12 Jahren

voyeurismus und kleine abgründe. binoche überzeugt leider nicht ganz als recherche-journalisten. aber sehenswert.


erb

vor 12 Jahren

Binoche spielt hervorragend. Prostitution wird viel zu positiv dargestellt....


composer86

vor 12 Jahren

die Handlung verläuft sich zu sehr in Nebensächlichketen, die wirklichen spannenden Momente wären die Geschichten der Escort-Girls, diese kommen aber viel zu kurz, viel lieber wird von der Ehekrise der Journalistin (Juliette Binoche) erzählt. Am Schluss werden die einzelnen Handlungsstränge ins Leere laufen gelassen, anstatt dem Zuschauer eine Interpretationsperspektive zu geben, schade!Mehr anzeigen


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