CH.FILM

Kampf der Königinnen Deutschland, Schweiz 2011 – 72min.

Filmkritik

Ballett der Kampfkühe

Andrea Lüthi
Filmkritik: Andrea Lüthi

Nicolas Steiners Dokumentarfilm handelt von einer Schweizer Tradition - dem Kuhkampf im Wallis: ein untypischer Heimatfilm in Schwarzweiss mit viel Sinn für Rhythmus und Komposition.

In seinem schrägen und raffinierten Kurzfilm Ich bin's, Helmut (2010) spielte der Walliser Regisseur mit Schein und Sein; in seinem ersten Langspiel-Dokumentarfilm mit dem Genre des Heimatfilms. Wer Landidyllen und Einblick ins Denken knorriger Bergler erwartet, liegt falsch. In seiner Betonung des Formalen erinnert Kampf der Königinnen oft an einen Experimentalfilm. Ausserdem geht es Steiner nicht darum, den Kuhkampf zu erklären, geschweige denn, seine Darsteller zu befragen. Er lässt die Menschen handeln und beobachtet sie - und das genau.

Die Kamera ist oft nahe, so nahe, dass die Gesichter manchmal vorübergehend unscharf sind. Eine der Hauptfiguren ist Beat, ein Kuhzüchter mit langem Bart und wettergegerbtem Gesicht. Déborah dagegen passt weniger in dieses Klischee. Die junge Kuhzüchterin ist ein Grund, weshalb vier Jugendliche das Volksfest besuchen, obwohl ihr Interesse Motorrädern gilt. Die Ansätze einer Liebesgeschichte? Vieles aus den Biografien und Charakteren ist nur hingetupft, ein, zwei Sätze, eine Geste - trotzdem lernt man die Figuren kennen, malt sich ihre Geschichten aus. Schliesslich ist da noch der etwas unbeholfene Radioreporter Andreas, der als Städter einen Gegenpol zum Volksfest bildet. Er ist aus Zürich angereist, um über den Kuhkampf zu berichten und sorgt für komische Momente. Wie unfreiwillig sie sind, bleibt offen - schliesslich ist Andreas auch Schauspieler und hat bereits in Steiners Kurzfilm mitgewirkt. Wenn sein Toilettengang plötzlich Gewicht bekommt oder wenn er mit dem Vermieter über unverschlossene Türen und schuldige Nachbarn telefoniert, erhält der Film schon einmal eine leicht absurde Note.

Der Film fokussiert vor allem auf die Atmosphäre; die Bilder erinnern in ihrer Komposition teilweise an die Fotografie des Augenblicks aus den 30er-Jahren. Ein Mann mit Hund und Kuhglocken steht einsam auf dem Platz, Kinder spielen mit einem Wasserschlauch, und dann wieder scheint es mitten im Sommer zu schneien - bis sich der Schnee als Wassertropfen aus dem Schlauch entpuppt; in Zeitlupe aufgenommen. Überhaupt nutzt Steiner die Möglichkeit, Zeit zu manipulieren, die Zuschauer innehalten zu lassen, die Spannung zu steigern. Dazu setzt er auch Montage und Musik intensiv ein.

Kurz bevor die Kämpfe losgehen, scheint die Zeit stillzustehen. Einmal erstarren zwei Kühe gar im Standbild, bevor sie aufeinanderprallen. In Gross- und Detailaufnahmen wird geschnaubt, ein Schwanz peitscht Dreck weg, ein Kuhauge blinzelt. Gestochen scharf sind die Bilder des Kameramanns Markus Nestroy, und in extremen Zeitlupenaufnahmen ist jeder Muskel sichtbar, die Beschaffenheit des Fells, der Speichel an den Mäulern. Bild, Ton und Montage sind hier rhythmisch so aufeinander abgestimmt, dass die Kuhkämpfe wie ein finaler Tanz wirken und zugleich eine Hommage sind an Kraft und Wendigkeit der eindrücklichen Eringer Kühe. Und im gesamten Film zeigt sich auch Steiners Handschrift: das Verspielte, der Hauch von Ironie und das Flair für poetische Momente.

05.06.2024

4

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