Unter Kontrolle Deutschland 2011 – 102min.
Filmkritik
Tanz auf dem schlummernden Vulkan
Drei Jahre drehte und schnitt Volker Sattel an seiner Archäologie der Atomkraft. Die Atomwelt war noch in Ordnung, die Betreiber auskunftsfreudig und drehbewilligungsfreundlich. Was danach passierte, war Pech für die Atomkraft, aber Glück für diesen Film, dem jetzt wohl eine unerwartete Aufmerksamkeit zuteil wird - und das zurecht, denn Inhalt und Darstellung sind eine Wucht.
Wer sagt denn, dass Männer nicht häuslich sind? Man muss ihnen nur ein AKW schenken. Da wird gepützelt und gewienert, konstruiert und repariert, dass es eine wahre Freude ist. Die Betriebskleidung wird gewaschen, geglättet und ordentlich zusammengelegt. Alles von Männern, alles innerhalb der Mauern eines AKWs.
Frauen, so scheint's, haben dort nichts verloren. Ist vielleicht ganz gut so, denn schnell gewöhnt man sich an die Banalität der Routine und vergisst allzu leicht, dass kleine Fehler katastrophale Folgen haben können. Sattel hat dazu die perfide Salamitaktik der Atomwirtschaft frech kopiert. Scheibchenweise, wie die Informationen über Störfälle an die Öffentlichkeit dringen, verabreicht er uns das Gift des Zweifels am Nimbus der Avantgarde-Technik, die Stolz moderner Industrienationen sein wollte. Sorgfältig inszeniert er das Harmagedon einer Industrie, die sich nicht wehren kann, weil ihre Monumente unverrückbar und unübersehbar in der Landschaft stehen, ihre Probleme aktenkundig sind und einige ihrer spektakulären Störfälle ins kollektive Gedächtnis eingeschmolzen wurden.
Ästhetisch geht Sattel keine Kompromisse ein und wählt die logische Palette für Ton und Typografie: elektronisch erzeugte Klänge und eine LED-artige, grüne Schrift, die an die Anfangszeit der digitalen Elektronik erinnern und damit auf die Überalterung der Atomtechnik verweisen, die in einer Zeit der Fortschrittseuphorie geboren wurde. Kommentare verkneift er sich, elegant lässt er die Vertreter der Branche für rsp. gegen sich sprechen. Ihre betont sachliche Terminonolgie entschärft das Grauen vor den Schäden nach Unfällen und verschleiert simple Fakten, während kritische Komponenten wie die auf Dutzende Jahre hinaus heißen Brennelementebehälter verniedlichend auf den Namen Castor getauft wurden.
So gelingt, was eigentlich die vorzüglichste Leistung dieses Mediums sein könnte, aber oft misslingt: Die Problematik wird unmittelbar sinnlich erfahren - nicht auf dem Umweg über den Verstand. Wenn man das unheimlich fahlblaue Licht der hochenergetischen Strahlung im Versuchsreaktor der Technischen Hochschule München schimmern sieht, kann einen schon das existenzielle Schaudern erfassen. Am Ende der Vorstellung hat Anti-Magier Volker Sattel die Kernenergie entzaubert.
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