Annelie Deutschland, Schweiz 2012 – 111min.
Filmkritik
Annelie
Im heruntergekommenen Hotel Annelie in München hausen randständige Frauen und Männer, alle mit Ecken, Kanten und tausend Macken. Es gab und gibt sie wirklich. Der Filmkünstler Antej Farac kannte und kennt sie und er hat mit bescheidenem Budget einige ihrer Geschichten in einen famosen Episodenfilm gepackt.
Ganz schräge Vögel flattern in der "Haus-Volière" an der Isar. Männer und Frauen, die dem Teufel vom Karren gefallen sind und eine heterogene, eher intolerante Schicksalsgruppe bilden, die nur gescheiterte Lebenspläne, Arbeitslosigkeit, Suchtverhalten verbindet. Doch als der Abriss von Annelie angedroht wird, rücken die Helden mit den verbrannten Flügeln näher zusammen.
Angeführt werden sie vom liebeskranken Junkie Max, der vom Österreicher Georg Friedrich (Hundstage, Sommer in Orange) bravourös mit Herzblut inkarniert wird. Er ist einer der wenigen Profidarsteller im Ensemble, figuriert als Erzähler und Mentor für seine Laienbrüder und -schwestern. Sie spielen alle irgendwie sich selbst: Transen, abgestürzte Karrieristen, Suchtbrüder, Kleinkriminelle. Wie etwa der Ex-Zuhälter Yogi, dessen Kioskbude zur "Tankstelle" im Sinne des Wortes für die Bewohner geworden ist. Aber nur einigermassen funktioniert, weil seine Partnerin Mimi noch in einem SM-Studio jobbt.
Der 1973 in Ex-Jugoslawien geborene Antej Farac kennt seine Annelie-Pappenheimer, er lebte lange in der Nachbarschaft des mittlerweile abgerissenen Hauses. Und er hat das Talent, in seinem Spielfilm Allzumenschliches in stimmige Szenen zu kleiden. Wie etwa dort, wo er von einem Mädchen berichtet, das sich mit pubertärer Todesverachtung an die Dachkante des Annelie-Gebäudes setzt und partout dort bleiben will. Doch dem Protagonisten Max gelingt es mit einer verblüffenden Pointe, das Kind zurück zu holen.
So was fällt nur einem ein, der auch einem Freak aufs Maul und ins Herz hinein schauen kann und das Filmhandwerk beherrscht. Anzunehmen, dass Farac die schrillen Filmfresken eines Emir Kusturica genauso gefallen wie die skurrile Welt der Comickultur.Ganz wichtig: Mit von der Partie ist noch die legendäre Hardrocktruppe Kiss; im Ansatz die echte und real die Coverband "First-Kiss". Sie sind die Objekte der Begierde in einer Sequenz, wo es um gefälschte Konzertkarten, um Sein und Schein geht und um die Kunst, den Katastrophen des Lebens eine anarchistische, märchenhafte Geste entgegenzuschleudern. Das Ende eines kühnen Films wird dadurch nicht happy sondern bleibt happig. Aber es ist von melancholischem Optimismus beseelt: Annelie ist ganz starkes, radikales, frisches Kino.
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