CH.FILM

MESSIES, EIN SCHOENES CHAOS - A GLORIOUS MESS Schweiz 2011 – 117min.

Filmkritik

Die Unordnung der Dinge

Stefan Gubser
Filmkritik: Stefan Gubser

Gut, muss man hier nicht wohnen! Der Schweizer Ulrich Grossenbacher hat vier Menschen besucht, die sich sehr schwer damit tun, loszulassen. Ein mehr als ordentlicher Dokumentarfilm.

Darf ich kurz reinkommen? Bitte, aber einfach wird das nicht. Regisseur Ulrich Grossenbacher hat der nicht ungepflegten Dame um die 60 seine Kamera aufs Haupt geschnallt, um sich ein erstes Bild von den Bergen machen zu können, die hier sich erheben: Hunderte von Kassetten stapeln sich bis unter die Decke, Tausende Stunden lückenlos archivierter Kultursendungen: willkommen im Wirrgarten windschiefer Turmgebilde, die bei der kleinsten Berührung einstürzen. Immerhin brauche sie, lacht sie, bei der Bergsteigerei alle Muskeln. Neuerdings schafft sie es wieder in die Küche, bald soll der Herd in Griffweite sein.

Überhaupt: Überraschend fitte Menschen, die vier so genannten "Messies", die Grossenbacher in seinem Dokumentarfilm porträtiert, und keiner scheint auf den Kopf gefallen. Messie, der: Das tönt schon so abschätzig, und daran hat auch wenig geändert, dass der Welt bester Fussballer einer ist, wenigstens dem Namen nach. Es ist eine der Annehmlichkeiten dieses Filmes, dass er den masslosen Sammlern auch jenen gedanklichen Raum zugesteht, den sie gewöhnlich für ihre Dinge beanspruchen, die ihre Umwelt vorschnell Müll schimpft und unbesehen entsorgt haben will.

Die Ordnung der Messies ist eine andere, eine gleichsam höhere. Sie sehen sich als Aufheber der Vergangenheit, um nicht zu sagen: als dingwelthistorisches Gewissen. Einer denkt sich seine vier vollen Scheunen als ein Lexikon sämtlicher Gegenstände, die es nicht mehr gibt, auch nicht in der vormals guten Brockenstube. Ganz gewiss wird hier immer wieder an die grossen Fragen des Zusammenlebens gerührt: Wer sagt uns und mit welchem Recht, was Ordnung ist? Was ist, bitte schön, nochmal normal? Und warum soll ein Pannendreieck kaputt sein, das nur noch aus zwei Seiten besteht? Es gehört doch auch in diesem Zustand zu den reflektierenden Gegenständen.

Grossenbacher kommt seinem Quartett nahe, ohne es blosszustellen, und beweist ein feines Gespür für die Tragikomik ihres buchstäblich allzu erfüllten Daseins. Stichwort Selbstüberlistung: Aufräumen bedeutet hier immer nur Umräumen, und noch wer Hilfe findet, verliert sich im steten Feilschen mit sich selbst. Warum das alte Radio entsorgen, wenn man die Antenne noch gebrauchen kann? Also gut: Die Zeitungen kommen aus der Wohnung, aber sie bleiben im Estrich. Tragisch bleibt der Zustand für die Opfer und ihr Umfeld. Am Ende wird der Einzige, der in einer Beziehung lebte, allein sein mit sich und seinen Sachen. Seine Frau sah einfach keinen Platz mehr für sich.

20.03.2024

4

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Kommentare

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weinberg10

vor 12 Jahren

Sehr interesante Aspekte, aber leider ausgesprochen langatmig


cawesas

vor 12 Jahren

grausamer film! geschmackloser geht nicht mehr!


nicobar

vor 12 Jahren

schade, dass es keine deutsche Untertitel gab: die Basler Zuschauer haben viel mehr gelacht als ich!
Es fehlte auch eine Art Psychoanalyse der 3 Leute, die Ursache des Benehmens, weche Kindheit...
Ich fühlte mich betroffen.


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