No Man's Zone Frankreich, Japan 2012 – 103min.

Filmkritik

Bilderflut - Bildersucht?

Andrea Lüthi
Filmkritik: Andrea Lüthi

Der japanische Regisseur Toshi Fujiwara hat die 20 Kilometer lange Sperrzone um Fukushima besucht. In seinem eindringlichen Dokumentarfilm lässt er vor allem die Bilder sprechen.

Im März 2011 gingen die Katastrophenbilder aus Japan um die Welt. Beim Erdbeben und dem nachfolgenden Tsunami verloren unzählige Menschen ihr Leben. In den Reaktoren des Atomkraftwerks in Fukushima kam es zur Kernschmelze, die Gegend wurde zur Sperrzone erklärt.

Rund ein Jahr später ist hier Regisseur Toshi Fujiwara mit seinem Kameramann unterwegs. Auf den ersten Blick glaubt man, eine Idylle zu sehen: Ein Bach rauscht, weit weg bellt ein Hund, einzelne Vögel zwitschern, und die Kirschbäume blühen. Doch etwas irritiert. Die Kamera fährt weiter durch ein Dorf; kein Lebewesen ist zu sehen. Spielzeug liegt vor den Häusern, mal steht da eine Hundehütte. Hier wurde einst Normalität gelebt - und diese Kluft zwischen Vorher und Nachher ist denn auch ein wichtiger Aspekt in Fujiwaras Film. Trotzdem lässt sich die intakte Welt kaum mehr erahnen unter den Trümmerhaufen, die unberührt liegen bleiben. In der Sperrzone scheint sich alles in einem Schwebezustand, in einer Schreckensstarre zu befinden. Nur ein älteres Ehepaar ist zurückgekommen, um sein Haus aufzubauen, das nicht vollständig zerstört wurde. Das Quartier aber ist tot. Rundherum haben die Nachbarn Haus, Vergangenheit und soziales Leben zurückgelassen.

Fujiwara spürt der Stimmung unter den Menschen nach, er interviewt solche, die ihre Häuser verlassen mussten, andere, die im Atomkraftwerk gearbeitet hatten oder einen Fischer, der arbeitslos ist, weil die Fische verseucht sind. Man fühlt sich von der Regierung im Stich gelassen, und doch wird niemand offen angeklagt. Hilflosigkeit drückt durch - auch bei den Polizisten, die vermummt in weisse Schutzanzüge die verlassenen Dörfer durchstreifen. Im Hintergrund steht ausserdem die Tatsache, dass man hätte Menschenleben retten können, wäre man innerhalb von 72 Stunden zu Hilfe gekommen; erst nach einem Monat durften die Helfer die Sperrzone betreten.

Fujiwara stellt nicht den Anspruch, dem Unglück auf den Grund zu gehen. Auch geht es ihm nicht darum, die Schuldigen zu suchen. Vielmehr regt er zum Assoziieren und Nachdenken an - nicht nur über Fukushima, sondern allgemein über den Umgang mit Bildern von Katastrophen. So lässt er den Zuschauern Zeit, das Gesehene auf sich wirken zu lassen und zu verarbeiten, wie beim wiederkehrenden Kameraschwenk über einen zerstörten Hafen. Manchmal kommen Bilder ohne Ton aus, und das schafft einen Kontrast zur hektischen Berichterstattung und zu erschütterten Kommentatoren zur Zeit des Unglücks. Eine ruhige Voice-over wirft Fragen auf: Sind wir süchtig nach Katastrophenbildern? Helfen uns Bilder tatsächlich, die Welt zu verstehen? Erinnert man sich nur, wenn es Bilder einer Katastrophe gibt? Fujiwara nähert sich einem Ereignis, das zu reisserischem Umgang verlockt, wohltuend besonnen und doch nachdrücklich, ohne alles zeigen oder erklären zu müssen.

11.03.2024

4

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