Paul Bowles: The Cage Door is Always Open Marokko, Schweiz 2012 – 93min.
Filmkritik
Ode an einen unbekannten Bekannten
Der Amerikaner Paul Bowles (1910-1999) ist als feinsinniger Komponist und provozierender Schriftsteller zum Mythos geworden. Der New Yorker lebte ab den 1940er Jahren in Tanger, Marokko, tauchte ganz in die nordafrikanische Kultur ein. Und wurde zur Stilikone für viele avantgardistische, extravagante Künstler aus dem Westen, wie etwa die Väter der Beatnik-Bewegung Jack Kerouac, Allen Ginsberg und William Burroughs. Der Schweizer Filmschaffende Daniel Young hat den charismatischen Bohémien stimmig, präzise porträtiert.
Einer von Bowles markantesten Wesenszüge war es, sich zeitlebens allen Versuchen von Vereinnahmung, Zuordnung entgegenzustemmen. Er wollte seine visionäre Suche nach existenziellen Grenzerfahrungen, Lebenssehnsüchten, raffiniert verschlüsselt, provokativ über sein schillerndes Werk transportieren. Deshalb sind viele Annäherungsversuche an den privaten Bowles gescheitert. Doch nun ist es dem schweizerisch-amerikanischen Doppelbürger Daniel Young nach über zehn Jahren Recherche famos gelungen, das Phänomen Bowles auch einer jüngeren Generation zu vermitteln.
Die Initialzündung für den Film datiert im Jahr 1998, als Young den schwerkranken Bowles kurz vor dessen Tod in Tanger interviewte. Doch erst 2006 kam das ambitionierte Projekt auf Touren. Young traf den exzentrischen, scharfsinnigen Bowles-Intimus Gore Vidal (1925-2012). Basierend auf den Einlassungen des Schriftstellers rekonstruierte Young die Vita des Paul Bowles. Einen Schwerpunkt bildet dabei die spannungsvolle Liebesbeziehung des bisexuellen Bonvivants zu seiner Ehefrau und Muse Jane Auer (1917-1973), auch sie eine Autorin von Rang. Um das extravagante Paar herum wucherten Legenden und einige davon scheinen im Film auf. Young präsentiert zudem eindrückliche Landschaftsimpressionen, informative Archivaufnahmen, symbolstarke Animationen. Und er akzentuiert alles kongenial mit Bowles' Musik-Kompositionen. Dazu kommen Statements von Literaturexperten und - wesentlich berührender - von Bowles-Vertrauten. Etwa dem gewitzten Kultregisseur John Waters, von marokkanische Vertrauten oder dem italienischen Filmmaestro Bernardo Bertolucci, der 1991 Bowles' bekanntesten Roman The Sheltering Sky auf die Leinwand brachte.
Young verzichtet klugerweise darauf, Paul Bowles Wesen intellektuell deuten zu wollen und er setzt auch nicht zur devoten Verbeugung vor dem Objekt seiner Begierde an. Als Filmer bleibt er respektvoll auf Distanz und weitet so den Blick auf das "Universum Bowles" selber. Das macht Paul Bowles: The Cage Door is Always Open zur respektvollsten, schlüssigsten Film-Ode an den bekannten Unbekannten, den Künstlerfreigeist Paul Bowles.
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Kommentare
Äusserst interessanter und informativer DokFilm über den Schriftsteller und Komponisten Paul Bowles. Ein anspruchvoller DokFilm mit Schweizer Beteiligung auf hohem Niveau. (Visionierung am Zürich film Festival).
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