Thorberg Schweiz 2012 – 105min.
Filmkritik
Eingeschlossene Gesellschaft
In der Berner Strafanstalt Thorberg sind rund 180 Männer aus über 40 Nationen inhaftiert - schwere Jungs, die einiges auf dem Kerbholz haben. Dieter Fahrer ist sieben von ihnen mit der Kamera auf Leib und Seele gerückt. Ein schnörkelloser Dokumentarfilm, der nichts beschönigt.
Am Anfang steht das Wort, das Gesetz, und da heisst es: "Der Strafvollzug hat das soziale Verhalten der Gefangenen zu fördern, insbesondere die Fähigkeit, straffrei zu leben. Der Strafvollzug hat den allgemeinen Lebensverhältnissen so weit als möglich zu entsprechen." Schöne Worte aus humanistischer Gesinnung mit Sozialambition. Doch wie sieht die Wirklichkeit aus?
Der Berner Dieter Fahrer hat drei Jahre an seinem Film gearbeitet. Es ist ihm gelungen, Mörder, Totschläger, Räuber zum Reden zu bringen. So beschreiben die Häftlinge - manchmal einsichtig, häufig jedoch beschönigend - ihre Geschichten, ihre Taten und Hoffnungen. Einer etwa meint lakonisch, er hätte 20'000 Franken einfacher und besser verdienen können mit dem Mord an einer Frau. Ein anderer trauert seinen Vaterträumen nach, die zum Alptraum wurden. Er wurde gewalttätig.
Es sind Schwerverbrecher, die in der Strafanstalt Thorberg verwahrt werden - sehr komfortabel und human. Sie haben ihren streng geregelten Tagesablauf, manche arbeiten, einzelne stellen sich quer, andere isolieren sich. Im Sinne eines humanistischen Strafvollzugs sollen die Straftäter von Gesetzes wegen resozialisiert werden - ein menschlicher Trugschluss freilich. Die meisten Kriminellen dieser "Klasse" schaffen es nicht, zu normalen Gliedern der Gesellschaft zu werden.
Fahrer bemüht sich um Distanz, indem er jegliche Kommentare vermeidet. Er lässt die Insassen für sich selber sprechen. Das macht sie nicht sympathischer. Seine Aufzeichnungen, die das Wachpersonal aussparen, erweisen sich als gezielte Bestandsaufnahme. Fahrer beschränkt sich auf die Knastwelt und klammert die Aussenwelt bewusst aus. Das Leben der Häftlinge vor und nach dem Knast bleibt fragmentarisch.
Das grosse Plus des spröden Films ist der schnörkellose Charakter und die authentische Nähe. Er bietet freilich nur Ausschnitte dieser abgeschotteten Leben. Die tendenzielle Aussage ist deutlich: Der erfolgreiche Strafvollzug bei schweren Jungs ist eine Illusion, er dient der Gesellschaft als eine Art Schutzmassnahme auf Zeit, kaum der Wiedereingliederung der Täter. Diese Menschen sind ein teures Risiko. Immerhin: Thorberg sensibilisiert, deutet an, wieso Menschen anderen etwas antun und wieso Strafvollzug ein Vergeltungsakt bleibt - ohne Aussicht auf Wiedergutmachung und Besserung.
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Kommentare
Einseitiger und sehr subjektiver Einblick in den Strafvollzug aus der Sicht verurteilter Straftäter. Die Sicht der anderen Seite (Opfer) fehlt mir!
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