Woody Allen: A Documentary USA 2012 – 113min.
Filmkritik
Ein Mann, viel Wort
"Ich weiss nicht, wie die Frage lautet. Aber die Antwort heisst mit Sicherheit: Sex." Robert B. Weide versucht den Mann zu fassen, der nur das Eine nicht zu wissen scheint: Wie man mal nichts tut. Ein erhellender Dokumentarfilm - wenn auch nicht der erhoffte Knüller.
Er sei, sagt Woody Allen einmal, ein grosser Verfechter der Quantitätstheorie. Jedes Jahr einen Film zu drehen, was er seit über 40 Jahren tut, erhöhe die Wahrscheinlichkeit auf das eine Meisterwerk, das ihm noch immer nicht geglückt sein will. Masslosigkeit scheint den kleinen Mann früh auszuzeichnen - genau wie eine hübsche Unernsthaftigkeit sich selbst gegenüber. Bereits mit 16 schüttelte er für Zeitungen gegen 50 Gags am Tag aus dem Ärmel, als junger Stand-Up-Comedian liess er keine Gelegenheit aus, seine berühmt gewordene schwarze Brille im Fernsehen zu zeigen ("Ich war mir für nichts zu blöd"), er hat Ideen für "unendlich viele Filme" und war mit geschätzt vier Frauen verheiratet, die ihm alle genau gleich sind - nämlich "hübsch und begabt".
In der vielleicht aufschlussreichsten Szene des Films führt Allen vor, wie er schreibt. Er kramt aus der Lade seines Nachttisches einen Haufen Papierfetzen hervor, legt sich aufs Bett und versucht, die auf Servietten und Briefpapier aus Luxushotels gekritzelten Notizen zu entziffern. Zu behaupten jedoch, Woody Allen habe Robert B. Weide nahe an sich herangelassen, wäre eine massvolle Übertreibung. Allen mag Weide seine uralte Schreibmaschine und sein gut gemachtes Ehebett zeigen - er setzt sich aber kein einziges Mal auf die Couch. Dem Vernehmen nach hat der Neurosenzüchter lange gezögert, sich nach Leben und Werk befragen zu lassen. Einer, den von Kindsbeinen an die Angst vor der Endlichkeit zum Arbeiten ohne Ende antreibt, hat vermutlich wenig Zeit und Lust auf einen Nachruf zu Lebzeiten, der in Midnight in Paris seinen vorläufigen Schlusspunkt findet.
Geschenkt: Der Fan schaut sich den Film nicht ungern an, schon weil er klar macht, wie gut Allen in jungen Jahren aussah und dass das Leben zu kurz ist, um sich alle Allens anzuschauen. Das grösste Problem an Weides strenger Chronologie der Ereignisse ergibt sich aus der schieren Überfülle, der er zusehends schlechter beikommt. Lässt er sich zu Beginn viel Zeit, die Hintergründe und Schnittstellen des Riesenwerkes zu reflektieren, spult er die Karriere ab den 90er Jahren fast forward ab; wo anfangs die wunderbare Diane Keaton etwa buchstäblich nach-denkt, halten später noch Filmkritiker Daumen hoch, und Schauspieler äussern jene Gefälligkeiten, die man aus Pressekonferenzen kennt. Weide hat viel Material angehäuft, mitunter ähnelt er aber dem allzu ernsten Denkmalpfleger, der zum Pathos neigt. Natürlich blickt Allen in Vicky Cristina Barcelona, als Scarlett Johansson sich von Javier Bardem verführen lassen will, in das noch nie geschaute Innere des Menschen - oder so. Die Pointe der Szene ist aber, dass Allens jüngstes Musenwunder sich im nächsten Augenblick übergibt.
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