A Touch of Sin China 2013 – 133min.
Filmkritik
Wanderer zwischen den Welten
Belogen und betrogen - sie sind Opfer der Verhältnisse, der neuen gesellschaftlichen Umstände und Veränderungen in China. Vier Menschen nehmen das, was ihnen erfährt, nicht tatenlos hin. Sie wehren, wenn es sein muss mit Gewalt. Regisseur Jia Zhang-ke malt ein düsteres und ungeschminktes Gesellschaftsbild des heutigen China - nach wahren Begebenheiten.
Ein Motorradfahrer im Schneegestöber. Eine Horde Wegelagerer stoppt ihn, will ihn berauben, doch das vermeintliche Opfer zückt eine Waffe und knallt die Räuber über den Haufen. So lakonisch und stumm wie in einem Western mit Clint Eastwood. Dem einsamen PS-Reiter San begegnen wir später wieder in einer Stadt.
Auch Fabrikarbeiter Dahai (Jiang Wu – er hat eine starke Ähnlichkeit mit dem Konzeptkünstler Ai Weiwei – Absicht oder Zufall?) nimmt das Heft des Handelns selber in die Hand. Er fordert vom Boss einer Mine, den Gewinn an die Arbeiterschaft weiterzugeben, doch der investiert das Geld lieber in einen Privatjet und schicke Wagen. Da holt Dahai sein Gewehr und macht reinen blutigen Tisch - wie einst Django, der Rächer. Der junge Arbeiter Hui soll für den Ausfall eines Kollegen aufkommen, der verunfallt ist. Er haut ab. Xiao Yu (Zjao Tao) arbeitet als Rezeptionistin in einem Sauna- und Vergnügungsklub. Gäste machen sie an, wollen ihr an die Wäsche, da greift sie zur Selbsthilfe.
Vier Episoden, vier Schicksale, die auf wahren Begebenheiten beruhen und nur vage, eher zufällig miteinander verknüpft sind. Menschen, von der Kapitalisierung der Gesellschaft und krassen wirtschaftlichen Veränderungen mitgerissen, wissen sich nur noch durch Flucht und Gewalt zu helfen. Wanderer zwischen den Mühlensteinen eines rasant wachsenden und sich westlichen Verhältnissen nähernden Chinas. Es sind Befreiungsschläge aus Verzweiflung. Opfer werden zu Tätern und wieder zu Opfern. Unrecht bewirkt Gegengewalt, Schuld und Sühne und Sünde.
Ungeschminkt, sachlich und distanziert im Stil eines Dokumentarfilms zeichnet Filmautor und Regisseur Jia Zhang-ke ein modernes Sitten- und Gesellschaftsbild seines Landes. Gnadenlos, aber auch subtil und verständig. Die Wut bleibt einem im Halse stecken. Er erhielt in Cannes 2013 für das Drehbuch eine Goldene Palme. Erstaunlich, dass sein Drama durch die chinesische Zensur ging, es ist durchaus auch mit drastischer Ironie gespickt - indem ein freizügiges Frauenballett etwa in einem Klub als strammes Trüppchen der roten Volksbefreiungsarmee auftritt. Einer der besten, verstörendsten gesellschaftskritischen Kinofilme des letzten Jahres.
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Kommentare
Für mich ein komischer Film. Es scheint mir das vieles überzeichnet wurde und für mich deshalb etwas unglaubwürdig wirkt. Vielleicht ist das Leben aber tatsächlich so.
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