Journey to Jah Deutschland, Italien, Jamaika, Schweiz 2013 – 92min.
Filmkritik
Reggae, Rastafari und Sinnfindung
Journey to Jah ist ein differenzierter und kluger Dokumentarfilm über Reggae- und Dancehall-Musiker, über Spiritualität und Lebenssinn. Am Zurich Film Festival 2013 hat er den Publikumspreis gewonnen.
"Fragt man in Deutschland jemanden nach dem Weg zur Schule, folgt eine klare Beschreibung. Stellt man in Jamaika dieselbe Frage, lautet die Antwort: 'There's always a way', und es entspinnt sich ein Gespräch über das Leben." So charakterisiert Gentleman die Kulturen, zwischen denen er pendelt.
Gentleman heisst eigentlich Tilman Otto, und wenn er in seinem lupenreinen jamaikanischen Kreolisch spricht, würde man kaum glauben, dass er Deutscher ist. Seit den 90er-Jahren kehrt der sympathische Reggae-Musiker immer wieder nach Jamaika zurück. Der Sizilianer Alberto d' Ascola alias Alborosie wiederum lebt seit Jahren hier; seine Dreadlocks reichen bis zum Boden. Doch handelt der Film nicht von zwei Aussteigern, sondern vor allem von der Musik Jamaikas - davon, wie sie Sinn stiften und was sie bewirken kann. Aber auch soziale Ungerechtigkeit und Armut kommen zur Sprache: Gentlemans Freund Natty lebt im Ghetto, wo teils ununterbrochen geschossen wird und es jeden Tag ums Überleben geht. Zugleich wird die Dancehall-Musikerin Terry Lynn porträtiert, die im Ghetto wohnt, aber weltweit auftritt.
Der Titel ("Jah" steht für "Jahwe") lässt bereits erkennen, dass die Rastafari-Bewegung eine wichtige Rolle spielt - sie ist eng mit der Musik verknüpft. Hier wird besonders deutlich, wie sich die beiden Regisseure, der Schweizer Noël Dernesch und der Deutsche Moritz Springer, den Themen von unterschiedlichen Richtungen annähern, Meinungen nebeneinander stehen lassen. Die jamaikanische Literaturwissenschaftlerin und Professorin Carolyn Cooper bettet das Ganze in Geschichte und Gesellschaft ein, während Gentleman - der übrigens Sohn eines Pastors ist - und Alborosie über ihre Interpretation des Rastafarianismus berichten, dem sie nahe stehen, den sie aber durchaus auch kritisch betrachten. Der Reggae-Musiker Jack Radics hält noch weniger von Verklärung und äusserst sich, wie oft im Film, erfrischend direkt: Der Rastafarianismus sei dogmatisch wie jede andere Religion, sagt er, und der One-Love-Gedanke reines Gelaber.
Die beiden Regisseure bedienen sich nicht der häufig zelebrierten Jamaika-Klischees; sie hinterfragen und ergründen - auch das Thema Homophobie und Frauenfeindlichkeit in der Dancehall-Szene wird aufgegriffen. Dynamisch gefilmt und stimmig mit den Reggae-Rhythmen montiert, überzeugt Journey to Jah durch tiefgreifende, witzige und nachdenkliche Betrachtungen und Szenen, die haften bleiben.
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