CH.FILM

Left Foot Right Foot Frankreich, Schweiz 2013 – 105min.

Filmkritik

Schritt für Schritt aus dem Tritt

Urs Arnold
Filmkritik: Urs Arnold

Left Foot Right Foot schildert aufwühlend, wie zwei junge Menschen immer weiter voneinander wegdriften - und ein dritter das als erster merkt.

Der 21-jährige Vincent (Nahuel Perez Biscayart) und die 18-jährige Marie (Agathe Schlencker) leben zusammen in einer Wohnung am Rande von Lausanne. Mittels maroder Jobs kleistert sich das Paar eine Existenz zusammen, die ihrem Anspruch ans Leben nicht gerecht wird. Während Vincent das Skaten als Eskapismus nutzt, ersehnt sich Marie einfach nur eine bessere Zukunft. Eine Zukunft mit mehr Geld, und einem Vincent, der ihr genauso viel Beachtung schenkt, wie seinem behinderten Bruder Mika (Dimitri Stapfer), der ab und an ein paar Tage zu Gast ist.

Mika mag autistisch und stumm sein, doch ist er äusserst feinfühlig, wenn es um Stimmungen geht. Offensichtlich erkennt er die Disharmonie in der Beziehung. Stumm bleiben nämlich auch Vincent und Marie einander gegenüber, wenn es darum geht, Dinge in ihrer Beziehung anzusprechen. In dieser zwischenmenschlichen Sprachlosigkeit distanzieren sich die beiden zunehmend. Marie rutscht bedrohlich tief in ein gefährliches "Berufsverhältnis" mit dem zwielichtigen Olivier (Stanislas Merhar). Für Vincent dagegen öffnet sich nach einiger Selbstüberwindung eine Tür, die seinem Leben einen neuen, starken Impuls geben könnte.

Gut möglich, dass Germinal Roaux als Fotograf noch nie ein Farbbild gemacht hat. Diesen Schluss lässt jedenfalls die Webseite des Romands zu, auf der schwarzweisse Aufnahmen von Skatern oder von jungen Musikerinnen zu sehen sind. Erstaunlich ist es daher nicht, dass Rouax sein Debüt Left Foot Right Foot monochrom filmte, und inhaltlich um seine bevorzugten Themen kreisen lässt: junge Menschen, Musik, skaten.

Einfach wäre es gewesen, anhand dieser Eckpunkte einen Film zu realisieren, welche die Coolness des zwar klammen, aber unbeschwerten jungen Lebens zelebriert. Roaux aber interessiert sich in keinster Weise für Hipness. Sein Werk ist Coming-of-Age, situiert inmitten des gänzlich unromantischen Schweizer Prekariats. Zu den Unsicherheiten dieses Paares, zusammen die glitschige Schwelle der Adoleszenz in Richtung Erwachsensein zu überwinden, gesellen sich Geldnot, kaputte Familien und ein behinderter Bruder.

Mag Mika auch nur stellenweise präsent sein: Dieses mehr eingefangene denn erzählte Drama handelt letztendlich nicht von zwei, sondern von drei Menschen. Mika ist derjenige, der seinem Bruder intensive Gefühle entlocken kann. Vincent der, der in seiner Gegenwart endlich auch mal Verantwortung übernimmt. Marie verkörpert die jugendliche Naivität, die ihr Freund schon abgestreift hat. Das alles zieht natürlich Konsequenzen nach sich: Einer Eruption gleich schildert sich das Ende, das sich wie der ganze Film zuvor mit perfekt abgestimmter Kamera und Musik aufwühlend darbietet.

18.02.2024

4

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Kommentare

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cwagner

vor 10 Jahren

Viel zu viel Musik (ist wirklich kein Lieblingsstücke der Regisseurin vergessen gegangen?) Geschichte sehr emotional, etwas aufgesetzt. Die Figuren haben wenig Tiefgang... man erfährt eigentlich kaum etwas über die Probleme im Hintergrund. Warum geht der behinderte Bruder nicht mal zur Mutter? Was ist mit dem Verhältnis zu den Eltern von Marie?
Die schauspielerischen Qualitäten haben mir leider auch nicht gefallen. Der Hauptdarstell (aber auch die Hauptdarstellerin) haben wenig mitgerissen und wirkten oft wie eine Schlaftablette mit null Ausdruck im Gesicht.
Der Film ist inhaltlich interessant aber irgendwie auch voraussehbar und wirkt konstruiert... dass bei einer solchen Sprachlosigkeitskonstellation der behinderte Bruder vom Turm springt,... na ja es wäre möglich.

Filmisch ist der Film allerdings sehr schön gestaltet. Ich frage mich höchstens warum der Film mit einer Arri Alexa (eine der teuersten Kameras am HD Kamera-Start) gedreht wurde. Ein groberes Korn hätte dem Film sicherlich gut getan.Mehr anzeigen


willhart

vor 10 Jahren

Ich bin froh, dass die Romands den Finger drauf halten. No Future Menschen gibt's sonst nur im Ausland. Diesen Film kann man als Bildnis verstehen, oder direkt. Sprachlosigkeit, Ziellosigkeit, in jedem Sinne behindert, Randfiguren. Nichts gelernt, nirgends wirklich zugehörig und unfähig, sich auszudrücken. Grauenhafter Alltag. Der behinderte Bruder als Katalysator. Im Bildnis ist er die Sprachlosigkeit, unfähig alleine zu leben. Er der fast sterben muss, damit die anderen zwei vielleicht die Sprache finden.Mehr anzeigen


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