Los insólitos peces gato Frankreich, Mexiko 2013 – 89min.
Filmkritik
Abseitsfalle für den Tod
Die 31jährige Mexikanerin Claudia Sainte-Luce wagt sich mit ihrem ersten Spielfilm an ein heikles Thema: Eine fünfköpfige Familie ohne Vater, der auch bald die AIDS-kranke Mutter wegsterben wird. Diese von weiblichen Rollen dominierte Novelle drückt erfreulicherweise weder auf die Tränendrüsen noch auf die Lachmuskeln, sie geht mit ihrer gelassenen Melancholie und ihrer betriebsamen Heiterkeit zu Herzen. Am Drehbuch arbeitete Sainte-Luce mehr als ein Jahr, was sich gelohnt hat, ihr Film erhielt letztes Jahr mehrere Preise.
Mexiko hat seit Jahren einen festen Platz nicht nur in der Kinolandschaft, sondern leider auch in den Verbrechensmeldungen der Massenmedien. In manchen Gebieten scheinen desolate Verhältnisse zu herrschen, ein ruhiges Leben fast unmöglich zu sein. Im krassen Gegensatz dazu zeichnet das Erstlingswerk von Claudia Sainte-Luce das Bild einer Familie, die trotz der weit fortgeschrittenen AIDS-Erkrankung der Mutter aggressionslos miteinander umgeht und auch nicht von außen bedroht wird.
Die innerfamiliäre Friedfertigkeit erscheint als Folge weiblicher Dominanz - fünf der sechs tragenden Rollen sind weiblich, der Vater ist, wie so oft in Lateinamerika, schon lange verschwunden - und sie erscheint als Reaktion auf den Überlebensdruck im Angesicht das nahen Todes der Mutter, der alle Familienmitglieder zwingt, Verantwortung zu übernehmen. Die Gewaltlosigkeit in der Interaktion mit der Gesellschaft mag als sympathische Utopie und als unaufdringlich didaktisches Gegenbild verstanden werden, was nicht stört, da uns keine Idylle gezeigt wird und die tragische Unausweichlichkeit zwar rührend liebevoll, aber vollkommen kitschlos präsentiert wird. Zur buñuelesken Idee, die scheinbare Hauptrolle, eine junge Einzelgängerin, als Folie für die familiäre Entwicklung einzusetzen und vielmehr noch die Art, wie sie eingeführt wird, kann man der Regisseuse und Drehbuchautorin nur gratulieren.
Das jahrelange Feilen am Drehbuch und die kompetente Regiearbeit zahlten sich an mehreren Festivals aus, so gab es in Locarno den Preis der Jugendjury und in Toronto der Entdeckungspreis der internationen Filmkritik. Diese Familie mit drei Töchtern, zwei davon gerade oder beinah erwachsen, einem Benjamin und einer unternehmungslustigen Mutter ist ein funktionierender Kosmos, dessen Gestirne zwar umeinander nach festen Regeln kreisen, der aber bereit ist, noch ein weiteres Gestirn aufzunehmen, wenn es sich öffnet, Anteil nimmt und sich selbst entwickelt. Der Tod könnte die Hauptrolle spielen, dabei steht er im Abseits, aus dem unausgesprochenen Memento Mori wird erfreulicherweise kein Lamento.
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Kommentare
Berührend - selten so eine kühle, und doch dichte Darstellung über Einsamkeit - im Sein, und im Sterben gesehen. Betrachtet man den Kontext, in dem diese Menschen leben, so befinden wir uns im Paradies. $
Leider haben wir es vergessen. Absolut sehenswert
Vorpremiere am Dienstag, 22. April 2014 um 18. 30 Uhr im kult. kino atelier
In Anwesenheit der Regisseurin Claudia Sainte-Luce!
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