Sag nicht, wer du bist! Kanada, Frankreich 2013 – 105min.

Filmkritik

Ballade der Hörigkeit

Rolf Breiner
Filmkritik: Rolf Breiner

Ein Fremder, eine Farm in der kanadischen Provinz – hier wird jemand zu Grabe getragen. Tom war der Liebhaber des Toten, er sucht Mutter und Bruder des Verstorbenen auf. Sie ahnen etwas, wissen aber nichts Genaues über dessen Leben. Tom soll's richten. Das spröde, beklemmende Beziehungsdrama schuf der kanadische Wunderknabe Xavier Dolan (Mommy), der auch die Titelrolle spielt.

Xavier Dolan machte eben wieder Schlagzeilen – am Filmfestival Cannes. Nicht zum ersten Mal: Der junge Mann aus Montreal feierte auf der Croisette bereits einige Erfolge, 2014 erhielt er für Mommy, seinen bereits fünften Film, den Preis der Jury. Zuvor hatte Dolan, ganz auf Altmeister Alfred Hitchcock eingestellt, dessen Kammerspiel-Klassiker Cocktail für eine Leiche neu verfilmt. Das ist ein Stoff, der ihm liegt – ein Beziehungsspiel mit Thrill.

Tom à la ferme hat etwas Zeit gebraucht, um in unsere Kinos zu gelangen. Im Film ist Dolan einmal mehr mutiert; er hat sich in den blonden Fremdling Tom verwandelt, der auf Spuren wandelt, die ihn fesseln, festhalten und fixieren. Bedrängt und genötigt von Francis (Pierre-Yves Xardinal), dem Bruder des Toten, muss Tom den Boten aus der Vergangenheit des zu Grabe getragenen Guillaume spielen und tischt der Mutter des Toten, Agathe (Lise Roy) geschönte Geschichten auf. Dazu dient auch die vermeintliche Geliebte ihres Sohnes (Evelyne Brochu), die auf Hilferuf Toms anreist. In Wahrheit ist Tom der Geliebte des Verstorbenen, was freilich wohl nur der zu Gewalttätigkeit neigende Francis weiss oder ahnt. Tom muss um sein Leben bangen. Oder doch nicht?

Xavier Dolan zeigt sich als Meister der Andeutung, er "mysterisiert", lässt vieles offen. Das beklemmende Beziehungsdrama, das sich nur punktuell erklärt, entwickelt sich zu einer düsteren Ballade der Hörigkeit, einem Kammerspiel um Liebe, Lüge und Leidenschaft, überschattet von Gewalt und Machtanspruch. Es herrscht eine bedrohliche Stimmung, man ist sich nie sicher, wann und ob die scheinbare Vertraulichkeit und Zuneigung in pure Gewalt umschlägt – auch sexuell.

Alle Figuren, auch der weich gezeichnete, fast fatalistische Tom, wirken wenig sympathisch, aber verloren zwischen Schein und Wirklichkeit. Dolans spröder Film, abrupt im Schnitt und fragmentarisch gehalten, ist ein fragiles Meisterwerk der Auslassungen, das auf die Inspiration und Fantasie der Zuschauer baut. Kein Hitchcock, aber ein echter Dolan.

12.03.2024

4

Dein Film-Rating

Kommentare

Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.

Login & Registrierung

movie-junkie

vor 10 Jahren

Ein sehr spannender, mitreissender und lebensnaher Film!
Anders als die letzten 3 film von Xavier Dolan, aber das liegt wohl auch am wechsel des Genres.
Die beste schauspielerische Leistung Dolans (bis jetzt).
Definitiv ein sehenswerter Film!


albertkurz

vor 10 Jahren

da gibt es einiges zu besprechen nach dem Schauen von diesem Film. Am besten bei einem dunklem Bier.: -) toller Film, nicht verpassen


movie-junkie

vor 10 Jahren

Hallo:)
Wird der film tom a la ferme nur in der romandie im kino ausgestralt?
Das wär sehr schade!
Lg sara


Mehr Filmkritiken

Gladiator II

Red One - Alarmstufe Weihnachten

Venom: The Last Dance

Typisch Emil