Violette Belgien, Frankreich 2013 – 139min.
Filmkritik
Ich – das andere Geschlecht
Martin Provost verfilmt abermals den Werdegang einer wichtigen französischen Künstlerin. Mit Emmanuelle Devos als Schriftstellerin Violette Leduc zeigt er den einsamen Befreiungsweg einer Frau, die nach dem Zweiten Weltkrieg entschlossen in der ersten Person Singular schreibt.
In Zeiten, in denen Frauen in Europa ohne die Zustimmung ihrer Ehemänner weder arbeiten noch ein eigenes Bankkonto eröffnen konnten, schrieb die Französin Violette Leduc über ihr Leben als uneheliches Kind, über ihre verhasste Mutter, ihre Abtreibung und die erotischen Phantasien von Frauen mit Frauen. Mit ihrem ehrlichen und instinktiven Schreibstil und provokanten Inhalten hatte sie zunächst wenig Erfolg beim Publikum. Aber sie gewann Förderer in der Elite des Existenzialismus und eine Freundin: Jean-Paul Sartre, Albert Camus, Simone de Beauvoir.
Der Franzose Martin Provost verfilmte 2009 bereits das Leben der Malerin Séraphine Louis und wurde dafür mehrfach mit Césars prämiert, später aber auch des Plagiatsvorwurfs schuldig gesprochen. Für die Verfilmung des Werdegangs von Violette Leduc holt er sich vorsorglich einen Experten ins Team - René de Ceccatty.
Violette beginnt im Zweiten Weltkrieg, als die Protagonistin in Scheinehe mit einem homosexuellen Schriftsteller auf dem Land das Ende des Krieges abwartet, und endet in den 1960er-Jahren mit ihrem literarischen Durchbruch. Am Anfang und am Ende des Films zwei verschiedene Frauen: die getriebene Hehlerin und die in sich ruhende Schriftstellerin, schreibend, im Sonnenuntergang.
Den Weg von der einen Frau zur anderen zeichnet der Film in seinen über zwei Stunden nach. Diese Metamorphose geht mit einigen anfänglichen Längen angenehm unspektakulär im Dreieck zwischen drei Frauen voran: der gehassten Mutter, der verbotenen Geliebte und der unnahbaren Freundin Simone de Beauvoir. Die Männer in Violettes Welt sind nicht viril: entweder homosexuell oder eben schon verheiratet müssen sie nicht wie von de Beauvoir durch analytische Texte in ihre Schranken gewiesen werden. Weibliche Poesie, fordernde Hände oder duftende Haare interessieren sie herzlich wenig. So schreibt Violette weiter, um ihre Einsamkeit zu ertragen - eine "monologisierende Wüste", wie sie sich selbst in ihrem treffsicheren, sarkastisch poetischen Ton beschreibt.
Violettes Arbeit dreht sich um Frauen und Wörter. Die Bilder und Töne des Biopics ordnen sich ihrem Kampf respektvoll unter. In diesem Sinne chronologisch profan und nostalgisch und in fast schnulzigen Bildern erzählt Provost von dem Leben einer einsamen Frau, die in ihrer Literatur und ihrem Leben aufrichtig Liebe einforderte. Emmannuelle Devos verkörpert die Schriftstellerin wider Willen mit beindruckender Eckigkeit. Mal zuckersüss, dann herrisch verzweifelt in ihrer Liebessuche treibt sie den Zuschauer zusammen mit der Hauptfigur in den stationären Wahnsinn.
Sandrine Kiberlaine gibt als reservierte Simone de Beauvoir den einzigen verlässlichen Halt in Leducs permanenten Lebenskrise. Ihre kühlen Anmerkungen hallen nach, erden Leducs Verlorenheit und machen Lust, mit den Büchern der beiden Frauen (erneut) in die Möglichkeiten des Lebens auszureissen: "sinnlich, neugierig, gefühlvoll".
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Kommentare
Den Anfang fand ich zu affektiert, dann war ich gefesselt von franz. Kulturgeschichte und Zeitgeschichte. Fasziniert von der Darstellung von de Beauvoir und Le Duc. Hätte ihr von Herzen ein längeres Leben gewünscht. Und wie jung unser relativer Wohlstand ist - und wir habens noch immer nicht begriffen.… Mehr anzeigen
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