CH.FILM

Istanbul United Tschechische Republik, Deutschland, Schweiz, Türkei 2014 – 89min.

Filmkritik

Solidarität unter Rivalen

Rolf Breiner
Filmkritik: Rolf Breiner

Die Rivalität zwischen den drei grossen Fussballclubs in Istanbul ist so gross, dass es einem Wunder gleichkam, als die drei Ultra-Fangruppierungen gemeinsame Sache machten und gegen das Regime in der Türkei protestierten. Die Geschichte einer denkwürdigen Solidarität, in einem wilden hautnahen Zeitdokument festgehalten.

Geradezu Hasstiraden spucken die eingefleischten Fans aus. Die Schlachtgesänge in den Stadien sind schmutzig. Der Hass zwischen den drei grossen Fussballclubs in Istanbul ist angeboren oder anerzogen. Und der wendet sich nicht nur gegen die einheimischen Rivalen, sondern auch gegen Clubs im Ausland, wie man jüngst wieder auf oder neben dem internationalen Fussballrasen erleben musste.

Jeder Club hat sein Territorium, seinen Bezirk: Galatasaray AŞ, um 1905 von Gymnasiasten gegründet, ist der erfolgreichste und populärste Verein der Türkei. Beşiktaş JK war auch ein Gymnasiumclub und ist einer der ältesten türkischen Sportvereine. Er ist wie auch Galatasaray im europäischen Teil Istanbuls beheimatet, nahe beim Gezi-Park. Fenerbahçe schliesslich ist auf der asiatischen Seite zuhause, wurde 1907 gegründet und nach einem Leuchtturm benannt.

Die Filmemacher Olli Waldhauer, ein Kölner, der auch in Tel Aviv arbeitet, und Farid Eslam, beschreiben anfangs die "Fankultur" oder besser das Fanleben und Fanverständnis der jeweiligen Clubs. Man hat das Gefühl, es mit Kriegsparteien zu tun zu haben, geprägt von Hass und Vorurteilen. Gewalt gehört wie selbstverständlich dazu wie die Vereinsfarben und Fahnen. Es sind Menschen mit dem Fanvirus infiziert.

Nun wurde im letzten Jahr ein städtischer Park in Istanbul zum Politikum. Die Regierung Erdoĝan hatte beschlossen, den Park platt zu machen – für ein Shoppingcenter. Am 27. Mai 2013 rollten die ersten Bulldozer an. Die Bevölkerung wehrte sich, protestierte auf dem naheliegenden Taksim Platz, mit jedem Tag wurde der Protest der Bevölkerung gefährlicher – für die Machthaber mit Erdoĝan an der Spitze. Die Staatsgewalt nahm sich beim Wort und übte immer massivere Gewalt gegen die Demonstranten aus. Einige Köpfe der Fussballfanclubs riefen ihre Anhänger zur Aktion auf. Vereint als "Istanbul United" marschierten die Ultras mit – gegen das Regime. Ein ungewöhnlicher Akt der Solidarität. Wer siegte, bei dieser Auseinandersetzung wissen wir. Was aus der Solidarität der Ultras wurde, kann man nur erahnen. Der Fussballalltag ist wohl wieder eingekehrt.

Der bisweilen etwas wild gefilmte Dokumentarfilm, fast immer hart am Mann, enthält sich jeden Kommentars. Das ist gut so. Er vermittelt einen stark emotionalen Eindruck von den Gezi-Geschehnissen. Der Protest wird hautnah spürbar, das Aufbegehren, die Gewalt, Aggressionen, Verzweiflung, aber auch das brüchige Bündnis der Ultras. Eine rohe authentische Dokumentation, die freilich an der Oberfläche bleibt.

19.02.2024

3

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