Los amantes de Caracas Mexiko, Venezuela 2015 – 93min.
Filmkritik
Nähe mit Distanz
Gleich mit seinem ersten Spielfilm gelang dem venezolanischen Regisseur und Drehbuchautor Lorenzo Vigas ein großer Coup. 2015 erhielt sein Drama Los amantes de Caracas bei den Filmfestspielen von Venedig den begehrten Goldenen Löwen. Eine Gefälligkeit seitens des mexikanischen Jurypräsidenten Alfonso Cuarón, wie einige überraschte Festivalbeobachter schnell vermuteten. Vigas' Debütwerk mag nicht der stärkste Beitrag des Wettbewerbs gewesen sein, ist aber trotzdem ein eindringliches Stück Kino.
Gemeinsam mit Armando (Alfredo Castro), einem wohlhabenden Zahntechniker mittleren Alters, tauchen wir in die Straßen der venezolanischen Hauptstadt Caracas ein, auf denen der Protagonist beinahe obsessiv nach jungen Männern Ausschau hält. Mit Geld lockt er sie in seine Wohnung, um dort ihren entblößten Rücken und ihren halbnackten Po aus sicherer Entfernung zu betrachten, während er sich selbst befriedigt. Auch den ungestümen Elder (Luis Silva) nimmt Armando mit nach Hause, wird allerdings von ihm niedergeschlagen und ausgeraubt. Trotz dieser schmerzhaften Erfahrung spürt er Elder weiterhin nach und baut eine ambivalente Beziehung zu dem Kleinkriminellen auf, die zwischen Zuneigung und Misstrauen schwankt.
Nicht nur zwei Generationen prallen hier aufeinander, sondern auch zwei Menschen aus komplett unterschiedlichen Schichten. Als Inhaber eines kleinen Zahntechnikerbetriebs verfügt Armando offensichtlich über ausreichende Mittel, um regelmäßig junge Männer für ihre Begleitung bezahlen zu können. Seinen Wohlstand nutzt er gezielt aus. Besonders deutlich, als er den anfangs abweisenden Elder mit immer neuen Geldgeschenken umgarnt.
Aus der finanziellen Abhängigkeit entwickelt sich mit der Zeit allerdings eine emotionale Beziehung, die durch Armandos Bindungsschwierigkeiten verkompliziert wird. Einerseits sucht er die Nähe des Jugendlichen, stößt ihn jedoch von sich, als Elder seine langsam aufkeimenden Gefühle offenbart. Was beide verbindet, ist ein problematisches Verhältnis zu ihren Vätern. Vigas belässt es im Falle Armandos aber bloß bei Andeutungen und ergeht sich nicht in platten psychologischen Erklärungsversuchen.
Auch wenn große Gefühlswallungen die Geschichte bestimmen, entfaltet sich Los amantes de Caracas auf bedächtige Weise und kommt durchweg ohne manipulierende Filmmusik aus. Mehrfach streifen wir durch die Straßen der venezolanischen Großstadt, wobei die Kamera Armando häufig von hinten einfängt und so seine Getriebenheit unterstreicht. Statt geschwätziger Dialoge dominieren Blicke und Gesten, mit denen Alfredo Castro und Laiendarsteller Luis Silva das hochkomplexe, eigentlich unwahrscheinliche Verhältnis ihrer Figuren glaubhaft erscheinen lassen. Trotz eines etwas abrupten Schlussaktes überzeugt Vigas mit einem fesselnd-sensiblen Drama, das en passant auch etwas über die Homophobie in der südamerikanischen Macho-Kultur erzählt.
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