Grozny Blues Schweiz 2015 – 103min.
Filmkritik
Reise in eine traumatisierte Stadt
Nicola Bellucci begab sich für seine Doku Grozny Blues in die durch zwei Kriege gebeutelte Hauptstadt Tschetscheniens. Der Film zeigt: die Traumata sind allgegenwärtig und die Geister der Vergangenheit schweben über der Stadt und den Menschen.
Nach dem Krieg lag Grosny zu weiten Teilen in Trümmern, die Infrastruktur war komplett zerstört. Auch heute sind die Folgen der Zerstörung noch sichtbar. In diese Stadt begab sich Regisseur Nicola Bellucci, um zu sehen, wie sich der Alltag der Menschen und das Leben in der Stadt gestalten. Er reiste in die heute rund 270'000 Einwohner zählende Stadt, in der die Erinnerungen an die Kriege – wie im ganzen Land – stets präsent sind. Ein Land zwischen Islamisierung und Freiheit sowie Krieg und Frieden, dessen Geschicke von dem russlandtreuen Putin-Ziehsohn Ramsan Kadyrow mit eiserner Härte bestimmt werden.
Das Filmteam begab sich auf gefährliches Terrain. Gedreht wurde die Doku ohne Genehmigung, stets in der Gefahr, bei dem tollkühnen Vorhaben ertappt zu werden. Mehre Male reiste das Team in den Nordkaukasus und entlockte den Menschen in langen Gesprächen und mit viel Einfühlungsvermögen allmählich intime Details, Geschichten und persönliche Schicksale.
Diese sind es dann auch, die den Film so wichtig und nachdrücklich erscheinen lassen: die persönlichen Schilderungen der Kriegsopfer und vielen unschuldigen Zivilisten, die die Schrecken der Kriege bis heute nicht verkraftet haben – und es vermutlich auch nie werden. Immer wieder rückt Bellucci einige befreundete Menschenrechtsaktivistinnen in den Mittelpunkt, die er in ihrem Alltag begleitet. Er zeigt sie sowohl bei der Ausübung ihrer Aktivitäten – z.B. wenn diese mit Opfern und Versehrten des Krieges sprechen – aber auch bei alltäglichen Dingen im Haushalt. Dabei wird klar: das Kriegstrauma ist in jeder Sekunde präsent, ein Vergessen ist unmöglich.
Dieses Vergessen wird zunehmend erschwert durch immer noch nicht wieder vollständig aufgebaute Gebäude sowie die vielen Banner des sich selbst feiernden Präsidenten Kadyrow, der schon mal Dinge wie "Ramsan, wir sind stolz auf dich" unter seine Plakate schreiben lässt. Und schließlich ist es den Menschen ins Gesicht geschrieben. Dazu reichert Bellucci die gezeigte Gegenwart in der Stadt mit drastischen Archivaufnahmen aus Kriegszeiten an, die Bestürzung hervorrufen. Aber diese Aufnahmen sind wichtig, zeigen sie doch, wieso die Einwohner so geworden sind, wie sie sie heute sind: scheu, unsicher, verängstigt. Schade ist, dass die Wechsel zwischen Vergangenheit und Gegenwart bzw. die Schnitte oft sehr schnell und unvermittelt kommen. Gut wäre auch gewesen, wenn der Film seine Zuschauer zu Beginn mit ein paar Infos zur geschichtlichen Einordnung z.B. in Form von Einblendungen, versorgt hätte. Denn schließlich verzichtet Bellucci auch auf einen informierenden Off-Kommentar.
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Kommentare
man möchte wegschauen und doch hinsehen!
Poesie trifft auf Schrecken!
absolut sehenswert!
Ein äusserst eindrücklicher Film über ein häufig vergessenes Land mit einem verdrängten Krieg, dessen Folgen immer noch spürbar sind.
Ein Film, der das Leben zeigt in einer Welt voller Gewalt und Repression, inklusive den schönen, liebevollen Momenten, die auch an den dunkelsten Orten der Welt vorkommen.… Mehr anzeigen
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