CH.FILM

Heimatland Deutschland, Schweiz 2015 – 99min.

Filmkritik

Ein Land steht vor seiner Abschaffung

Urs Arnold
Filmkritik: Urs Arnold

Zehn Regisseure, ein Film: Heimatland lockt die Schweiz aus der Komfortzone. Und fordert sie heraus.

Die Meteorologen sind ratlos: Da bildet sich eine Wolke über Schwyz, wächst bedrohlich an und bedeckt letztendlich die ganze helvetische Landmasse. Sie rechnen mit einem Sturm. Einem beispiellosen Sturm.

Während die Geschäftsleitung der Versicherungsfirma noch in bemühter Rationalität über die bevorstehenden Schadenskosten diskutiert, reagiert das Volk auch im Angesicht der Katastrophe uneins. Die einen feiern, die anderen verschanzen sich in alten Reduit-Bunkern. Man nimmt das Sturmgewehr in die Hand, man plündert die Supermärkte, man hält Brandreden, man verliert die Contenance. Viele sehen letztendlich nur eine Möglichkeit: Die Flucht ins rettende Ausland, in der Hoffnung, die EU gewähre Asyl.

10 Schweizer Regietalente zwischen 30 und 40 haben zusammen Heimatland erschaffen. Die Projektinitiative ergriffen seinerzeit Jan Gassmann (Chrigu) und Michael Krummenacher (Sybille). Das Kollektiv wollte einen Film drehen – und hat einen Film gedreht –, der einen persönlichen und unverstellten Blick auf das Land richtet. Dafür reissen sie die Schweizer brüsk aus der Komfortzone: Es wird ein Damoklesschwert über die Heimat gehängt, und ihre Figuren im Umgang mit der drohenden Apokalypse observiert. Deutlich treten dabei die negativen Themen hervor, die Helvetia in den letzten Jahren stets umtrieb: Xenophobie und überhitzender Patriotismus, konservatives Gedankengut, Geld als Machtmittel.

Diese dystopische Anlage ist eine aberwitzige wie geniale und gipfelt im zynischen Umkehrschluss: Unverhofft kommt den Schweizern die Rolle der Flüchtlinge zu, die sich so betont isoliert gebende Insel Schweiz hat sich gegen aussen zu stülpen. Aufgeschlüsselt wird dieser Vorgang durch ein Kaleidoskop an Geschichten à la Altmans Episodenwerk Short Cuts - wenngleich die Storys hier frei von Berührungspunkten bleiben.

Für ihre ersonnene Extremsituation findet das Kollektiv eindrückliche Bilder. Dafür wurde bei der Erzähldynamik und Figurenzeichnung gespart. Auch wenn die hohe Anzahl der Geschichten offensichtlich dem Gedanken an die Heterogenität unserer Nation geschuldet sind, wären weniger Stränge mit etwas mehr Tiefe – und mitunter auch besseren Schauspielern – wünschenswert gewesen.

Trotz der gedrosselten Pace spannt sich die Atmosphäre in diesem Film jedoch effektvoll an. Ohnehin ist es frappierend, wie sich hier die Arbeit von zehn Regisseuren kohärent verzahnt. Dabei geht das Werk zu keiner Sekunde den ach so schweizerischen Kompromiss ein. Man wolle die Schweiz mit diesem Film herausfordern, sagte es Jan Gassmann an der Premiere in Locarno. Dies gelingt Heimatland zweifellos.

10.04.2024

3

Dein Film-Rating

Kommentare

Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.

Login & Registrierung

Jonn

vor 7 Jahren

Die Idee von dieser Wolke war genial und auch das Thema geht richtig ins Gewissen, doch es gibt auch grosse Schwachpunkte.
Zum Beispiel sind es zu viele einzelne Geschichten, die meist uninteresant sind, oder einfach durch die hohe Anzahl zu wenig Zeit bekommen sich zu entfalten.
Auch die Effekte waren nicht auf ausländischen Standart, alles im dunkeln und die Wolke war richtig schmerzhaft aber ich kann bei CGI in der Schweiz ein Auge zu drücken.Mehr anzeigen


deborah.plattner

vor 7 Jahren

Hammermässiger Film. Für mich ein Meisterwerk


Nachtschicht

vor 8 Jahren

Nun ja ...

Dieser Film soll aus der "Komfortzone herauslocken" ...bitte sehr ...ich verlasse meine Komfortzone und fordere hiermit die Fr. 8.60 zurück (welche ich bei Video on demand für's Ausleihen bezahlt habe!)
Die 10 "talentierten" Filmemacher können ja zusammenlegen!

Dieser Film ist langweilig, bemüht sich zähe um Tiefgang und krönt in einem Ende (Sirenengeheul und aufkommende Sturmböhen), wo man als Zuschauer kurz vor dem Tiefschlaf nochmals hochschreckt, nur um dann verwirrt festzustellen ...dass man gerade noch aufgewacht ist um denn Abspann zu lesen.

Aber etwas positives hat er dennoch: man kann wirklich zu jeder Zeit auf Toilette gehen (auch länger!), Wäsche zusammenlegen ...oder ein nettes Telefonat führen ...mit der Gewissheit, dass man rein absolut garnichts verpasst hat. Und da dies bei den meisten anderen Filmen eher ungünstig ist, hier jedoch problemlos umsetzbar, kriegt dieses "Kunstwerk" von mir 2 Sterne ...Mehr anzeigen


Mehr Filmkritiken

Gladiator II

Red One - Alarmstufe Weihnachten

Venom: The Last Dance

Typisch Emil