CH.FILM

Hund Schweiz, Türkei 2015 – 100min.

Filmkritik

Arme Hunde und ein Strassenköter

Rolf Breiner
Filmkritik: Rolf Breiner

Ein Tag in Istanbul. Drei Schicksale, verschiedene Lebenssituationen und Verhältnisse: Ein Knabe, eine unglücklich Verheiratete und eine Transsexuelle. Die türkisch-schweizerische Filmerin Esen Isik beschreibt städtischen Alltag – aus der Verliererperspektive. Eindrücklich nah.

Standesdünkel, Besitzansprüche, Ignoranz, Eifersucht, Suche nach Geborgenheit, und Zuneigung – um diese Themen kreist der erste lange Kinofilm Köpek der türkisch-schweizerischen Filmautorin Esen Isik. Der zehnjährige Cemo versucht im Strassengewimmel Istanbuls, Taschentücher zu verkaufen, um seine Familie, genauer seinen trinksüchtigen Vater, zu unterstützen. Er himmelt ein Mädchen in seinem Alter an, das ihn offenbar auch sympathisch findet. Doch man vertreibt ihn aus der vornehmen Gegend, in der das Mädchen wohnt. Cemo rettet einen Hund (Türkisch: Köpek), behütet ihn. Der Strassenköter hebt ihn in den Augen des Mädchens. Letztlich ist der Hund, von einem «Ordnungshüter» gestossen und getreten, Auslöser eines Gewaltaktes. Dies ist eine der drei Geschichten, die sich an jenem Tag in Istanbul zutragen. Eine zweite zeigt, wie Hayat, mit einem herrischen eifersüchtigen Mann verheiratet, dem Wunsch ihres Ex-Verlobten nachgibt und ihn heimlich trifft. Ein unschuldiger Seitensprung, den sie bitter büssen muss. Ebru, eine attraktive Transsexuelle, wunderbar verkörpert durch die Laiendarstellerin Çagla Akalin, prostituiert sich, um zu überleben. Sie hängt ihrem (verheirateten) Geliebten nach, verfolgt ihn, bittet ihn, zu ihr zurückzukommen. Doch der lehnt sie ab, verleugnet, verstösst sie.

Die drei Schicksale verbindet die Suche und Sehnsucht nach Liebe und Zuneigung. Sie scheitern an Standesdünkel und Ignoranz, Selbstsucht und Hybris. Sie sind arme Hunde, Opfer ihrer gesellschaftlichen Benachteiligung, quasi ihrem Elend vorbestimmt. Wie ein dunkler Schatten schwebt über allen die Gewalt, der sie ausgesetzt sind oder zu der sie letztlich greifen – wie der Knabe, der sich für eine andere geschundene Kreatur wehrt. In ihrem ersten langen Kinofilm beschreibt Esen Isik, 2012 bereits für «Du & Ich» mit dem Schweizer Filmpreis ausgezeichnet, Schicksale, die sich genauso in Rom oder Zürich ereignen könnten. Ihr Alltagsdrama, das wie eine Dokumentation wirkt, spiegelt eindringlich auch ein Stück türkischer Gesellschaft wieder.

14.04.2024

4

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Kommentare

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filmmann

vor 7 Jahren

Schade Geld und Zeit.

Zuletzt geändert vor 7 Jahren


elafonisi

vor 7 Jahren

Wenn ein Film unter die Haut geht und Ausweglosigkeit und Ohnmacht gegenüber Gewaltstrukturen greifbar macht, dann dieser.


elafonisi

vor 7 Jahren

Ein bezüglich Intensität kaum zu übertreffender Film, den man nicht vergisst


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