Virgin Mountain - Fúsi Dänemark, Island 2015 – 94min.
Filmkritik
Ein sanfter Riese erwacht
Fúsi (Gunnar Jónsson) ist zwar schon Mitte Vierzig und wahrlich ein Berg von einem Mann, lebt aber immer noch bei seiner Mutter und hatte noch nie eine Freundin. Doch dann lernt er die hübsche Sjöfn (Ilmur Kristjánsdóttir) kennen. Wunderbar stimmig und warmherzig, Klischees geschickt umschiffend erzählt der Isländer Dagur Kari vom späten Coming-of-Age dieses Aussenseiters, der im Innern immer noch ein Kind ist.
Mit wenigen statischen Einstellungen zeichnet Dagur Kari nicht nur ein Bild vom monotonen Leben des mächtigen und schwer übergewichtigen Fúsi, sondern vermittelt auch eindrücklich seine Einsamkeit: Am Morgen isst er allein in der mütterlichen Wohnung seine Schokoflocken. Tagsüber dreht er als Mitarbeiter des Bodenpersonals auf dem Flughafen mit dem Gepäck der Passagiere seine Runden. In der Freizeit stellt er zuhause mit Spielzeugsoldaten historische Schlachten wie die von El Alamein nach.
Dass wie in Nordafrika der Zweite Weltkrieg auch Fúsis Leben noch eine Wende nehmen könnte, wagt man kaum zu hoffen. Denn zur Einsamkeit kommt, dass er von seinen Arbeitskollegen gemobbt wird, weil er nicht ihren Vorstellungen von einem Mann entspricht, und von einem Nachbarn wegen seines kindlichen Gemüts für einen Perversen gehalten wird. Grau in Grau ist sein Leben – und kalte Farbtöne bestimmen auch den Auftakt von Virgin Mountain, mit dem Dagur Kari nach Nói Albínói, Dark Horse und dem in New York gedrehten Ein gutes Herz einen weiteren Film über einen Aussenseiter vorlegt.
Aber wie gewohnt in solchen Filmen, tritt dann doch eine Wende ein. Denn zum Geburtstag schenkt ihm der Liebhaber seiner Mutter einen Gutschein für einen Line-Dance-Kurs. Wie beim Gerichtsvollzieher in Stéphane Brizés Je ne suis pas là pour être aimé und dem Gefängniswärter in Frédéric Fonteynes Tango libre bringt auch bei Fúsi das Tanzen etwas in Bewegung. Zwar wagt er am ersten Abend nicht einmal das Studio zu betreten, sondern wartet lieber davor in seinem Pick-up, doch anschließend bittet ihn die hübsche Sjöfn, sie nach Hause zu fahren. Wenn Farben und Licht nun wärmer werden, scheint sich eine Liebesgeschichte anzubahnen, doch so einfach macht es sich Kari nicht.
Wunderbar lakonisch erzählt der 42-jährige Isländer, hält beglückend die Balance zwischen Schwere und Leichtigkeit und trifft punktgenau immer den richtigen Ton. Getragen wird diese Dramödie aber von einem grossartigen Gunnar Jónsson, der nicht nur mit seiner Körperfülle den Film dominiert, sondern der diesen sanften Riesen auch so einfühlsam spielt, dass man ihn rasch ins Herz schliesst.
So witzig Virgin Mountain ist, wenn sich beispielsweise Fúsi als Heavy-Metal-Fan auf Wunsch Sjöfns im Radio Dolly Partons "Islands in the Stream" wünscht, so sehr nehmen gegen Ende dann doch Ernst und auch Traurigkeit zu. Wie es Kari schafft die Geschichte einerseits zu einem überzeugenden Ende zu führen, das nichts beschönigt und die Konventionen eines Happy-Ends umgeht, und den Zuschauer dennoch erleichtert und beglückt über diesen Film ebenso wie über die Entwicklung dieses herzensguten Aussenseiters aus dem Kino zu entlassen, ist ein kleines Meisterstück.
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