Abluka Frankreich, Katar, Türkei 2015 – 119min.
Filmkritik
Türkische Apokalypse
Eine Stadt (Istanbul?) wird zur grossen Müllhalde und versinkt im Chaos. Kadir, zu 20 Jahren Gefängnis verknurrt, wird vorzeitig aus der Haft entlassen, um als Polizeispitzel Müll auf verdächtiges Bombenmaterial zu durchwühlen. Doch er sucht seinen Bruder und verstrickt sich. Eine düstere Apokalypse der türkischen Art über Wahn und Paranoia, Kontrolle, Manipulation und Gewalt.
Dieser Mann ist an sich schon ein Schatten, ein Nichts ohne prägendes Gesicht und Vergangenheit. Man erfährt nur, dass Kadir (Mehmet Özgür) zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Warum? Erfährt man nicht. Seine Haftstrafe wird reduziert: Er wird als Polizeispitzel eingesetzt. Was bleibt ihm übrig? Er arbeitet als Müllmann und soll Abfälle nach Materialien durchforsten, die sich möglicherweise für den Bau von Sprengsätzen und Bomben eignen. Absurd. Kadir erledigt seinen Job akribisch genau wie ein Buchhalter, macht Notizen, schreibt Reporte auf einer alten Schreibmaschine vom Flohmarkt über Anwohner. Doch eigentlich sucht Kadir seine Brüder. Schnell stösst er auf Ahmet (Berkay Ates), der streunende Hunde in den Aussenquartieren liquidiert. Aber da ist noch ein dritter Bruder, Veli, der mittlere, der verschollen und untergetaucht ist. Ein Phantom taucht in den Quartieren auf, ein Ghostrider auf dem Motorrad sozusagen. Ist es der Bruder, der im Untergrund agiert?
Und dann Ahmet. Der jagt Hunde, liest ein angeschossenes Exemplar auf, nennt ihn Coni, päppelt ihn auf und lebt in ständiger Angst, als Hundejäger und Hundeschützer entdeckt zu werden. Er mauert sich quasi ein. Kadir dringt nicht mehr zu seinem Bruder durch und zieht falsche Schlüsse. Kadir sucht die Hilfe seines «Führungsoffiziers», eben jenes Inspektors Hamza (Müfit Kayacan), der ihn in Spitzeldienste stellte, und eben dieser Behörden- oder Machtvertreter setzt Vollstrecker der Staatsgewalt ein.
Ein Staat im Kampf gegen Terroristen, der sich Instrumente der Kontrolle bedient, der Gewalt und Gegengewalt hochschaukelt. Eine Gesellschaft unter Beobachtung am Abgrund – folgerichtig siedelt Emin Alper, Regie und Buch, seine apokalyptische Parabel in maroden Quartieren und der Müllszenerie an. Ein Schauplatz des Zerfalls, des äusseren wie inneren. Bruderbande zerbrechen, intime Zuneigungen werden zur Gefahr, gute Absichten kehren ins Gegenteil. «Abluka – Der Wahn» ist eine beklemmende Parabel über Wahn und Wirklichkeit – nicht nur, aber vor allem in der Türkei. Man kann diesen Endzeit-Film auch als Abgesang auf das Menschsein lesen, unabhängig von einem politischen System, als Sinnbild politischer Gewalt und Zeugnis davon, wie sie ausgeübt, erduldet und erlitten wird. Es herrscht ein kafkaeskes Klima – kalt, undurchsichtig, vernichtend.
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Kommentare
Der Film ist langatmig. Wiederholungen derselben Szene gehört sicherlich in die Kategorie Wahn, aber weniger wäre sicherlich mehr gewesen. Das düstere Klima hingegen wurde gut umgesetzt und es mangelt nicht an tragisch-komischen Szenen.
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