Marija Deutschland, Schweiz 2016 – 100min.
Filmkritik
Um jeden Preis
Die Ukrainerin Marija, Titelheldin von Michael Kochs erstem Langfilm, lebt in einem armen Viertel im Norden Dortmunds. Ihren Lebensunterhalt verdient sie als Putzfrau in einem Hotel, träumt aber insgeheim von einem eigenen Friseursalon. Als sie nach einem leichtfertigen Diebstahl entlassen wird, steht sie vor dem Nichts und wendet sich schnell Aufträgen in ihrem Viertel zu, für welche sie ihre Nachbarn abzieht und sie fürs Erste gerade so über Wasser halten.
Margarita Breitkreiz spielt diese Marija beeindruckend, fast schon erschreckend stoisch: Obwohl sie jeden Grund hätte, längst aufgegeben zu haben, erträgt diese Frau alles, nimmt Erniedrigungen und Respektlosigkeit in Kauf, unterdrückt Gefühle und benutzt ihren Körper, um sich langsam in Richtung Mitte der Gesellschaft vorzuarbeiten. Die von ihrer Umgebung erwartete Opferhaltung verweigert sie. Bernhard Kellers Kamera ist immer ganz bei ihr, in der heruntergekommenen Wohnung, auf der Strasse, selbst beim Gespräch zwischen zwei Männern, dem Marija als stumme Aussenseiterin beiwohnt, liegt der Fokus nur auf ihr. Ein bildliches Aufatmen wie in einer Totale existiert nicht, ebensowenig für Marija selbst. Jedes Bild wirkt wie abgeriegelt, selbst die Aussenaufnahmen fühlen sich nach geschlossenen Räumen an – und sie sind es wohl auch, da das Grosse, Offene der Stadt für Marija keine Möglichkeit zur Verwirklichung darstellt, bis sie den dubiosen Geschäftemacher Georg, von Georg Friedrich schmierig, aber herzlich gespielt, kennenlernt, der ihr scheinbar die Türen öffnen kann.
In dieser Konzentration auf seine starke Protagonistin entwickelt sich der Film zur sozialrealistischen Charakterstudie einer Frau, die ihre Entscheidungen selbst trifft und für sie geradesteht. Marija ist zwar klar in einer gesellschaftlichen Schicht verankert, aber der Film ist doch mehr als die blosse Studie dieses Milieus. Viele Leute aus dem Viertel spielen sich selbst, innerhalb ihrer Familien und Wohnungen, und auch wenn der Blick, der sich auf diese Menschen am Rande der Gesellschaft legt, von aussen kommt, fühlt er sich nie voyeuristisch an. Denn Michael Koch bietet seine Figuren nicht feil, er begleitet sie – das ist die grosse Stärke von Marija.
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