120 battements par minute Frankreich 2017 – 143min.
Filmkritik
Die Kraft der Gemeinschaft
Zu behaupten, Robin Campillo sei ein unbeschriebenes Blatt, wäre natürlich falsch, immerhin schrieb der Franzose u.a. schon das Drehbuch zum Cannes-Gewinner Entre les murs und wurde für seine zweite Regiearbeit Eastern Boys für den César nominiert. Doch im Wettbewerb von Cannes, wo gemeinhin die immergleichen, alteingesessenen Filmemacher eingeladen werden, kommt ihm in diesem Jahr die Rolle des Geheimfavoriten zu. Und sticht hier mit 120 Battements Par Minute auch deswegen heraus, weil dezidiert schwule Geschichten im Rennen um die Goldene Palme sonst selten einen Platz haben.
Mit fast dokumentarischem Blick sieht Campillo auf den Pariser Ableger von Act Up, eine Organisation von größtenteils homosexuellen und nicht selten HIV-positiven Aktivisten, die in den Neunziger Jahren dafür kämpft, dass Regierung und Pharmakonzerne endlich einen angemessenen Umgang mit der Aids-Epidemie finden.
Der eine oder die andere mag 120 Battements Par Minute vielleicht vorwerfen, dass er – zumal in der ersten Hälfte – allzu sehr auf ausführliche und wenig filmische Diskussionen setzt oder mit seinen 140 Minuten ein bisschen lang geraten ist. Doch es ist im Gegenteil beeindruckend, mit welcher Detailtreue, Ausführlichkeit und Präzision Campillo das Bild einer ganzen Community, Bewegung und letztlich Gesellschaft zeigt, dann aber doch auch mit intimen Momenten und Einzelschicksalen (Neuentdeckung Nahuel Pérez Biscayart sticht aus dem famosen Ensemble heraus) zutiefst bewegt. Ein Film mit wenig Plot, aber großer Wirkung, der nicht nur das Lebensgefühl einer ganz bestimmten Zeit einfängt, sondern auch heute noch politische und soziale Relevanz hat. Zu behaupten. Campillo sei seinem Geheimfavoriten-Status gerecht geworden, wäre fast eine Untertreibung
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