The Insult Belgien, Zypern, Frankreich, Libanon, USA 2017 – 112min.
Filmkritik
Hinter der Fassade
Ein kaputtes Abwasserrohr, zwei Dickköpfe mit unterschiedlichen Weltansichten, eine Gerichtsverhandlung mit Folgen: Das libanesische Drama The Insult hängt die aktuelle politische Lage an einem scheinbar unbedeutsamen Nachbarschaftsstreit auf.
Es beginnt alles mit einem Abwasserrohr, das nicht fachgerecht am Balkon montiert worden ist: Der palästinensische Flüchtling und Strassenarbeiter Yasser (Kamel El Basha), der zuvor von Abwasser aus ebendiesem Rohr bespritzt wurde, will dieses nach einigen Diskussionen gleich selbst reparieren. Der Besitzer – Tony (Adel Karam), libanesischer Christ, werdender Vater – ist davon weniger begeistert und zerstört die Arbeit, kaum ist sie erledigt. Als Yasser ihn daraufhin von der Strasse aus mit wütenden Worten beleidigt, ist für Tony klar: Das bedarf einer Entschuldigung. Auf Anweisung seines Arbeitgebers erklärt sich Yasser widerwillig dazu bereit. Eine Aussöhnung scheitert aber, weil Tony aus seiner Garage lautstark eine alte Hasstirade auf Palästinenser im TV laufen lässt und ihn mit den Worten „Ich wünschte, Ariel Sharon hätte euch alle ausgelöscht“ begrüsst – und Yasser ihm daraufhin mit einem Schlag in den Bauch drei Rippen bricht.
Der anfänglich banal wirkende Nachbarschaftsstreit zwischen zwei Dickköpfen wird schnell zu etwas Grösserem, Ideologischem, das nicht so schnell einfach beigelegt werden kann. Es kommt zu einem Gerichtsverfahren, das bald grössere Kreise zieht – weil weder der über 60-jährige Yasser noch der 46-jährige Tony über ihren Schatten springen können, obwohl die beiden Ehefrauen (Christine Choueiri und Rita Hayek) vermittelnd zu wirken versuchen. Auch die Öffentlichkeit beginnt sich für den Fall zu interessieren; ein Staranwalt (Camille Salameh) übernimmt Tonys Verteidigung und das Land steht kurz vor einer nationalen Krise.
Für Regisseur Ziad Doueiri ist The Insult gleich doppelt persönlich: Zum einen basieren die Vorkommnisse im Drama auf einem von ihm selbst erlebten Konflikt – zum anderen hat er das Drehbuch mit seiner damaligen Frau (Joelle Touma) während der Scheidungsphase geschrieben. Entsprechend explosiv ist die Thematik im Drama. Was nämlich als banale Meinungsverschiedenheit beginnt, weitet sich zu einer politischen Frage und zugleich einer Geschichtsstunde über die Region im Nahen Osten aus, dessen Vergangenheit auch heute noch einen Schatten auf das Land wirft.
So auch bei Tony: Während den kammerspielartigen, spannenden Gerichtsverhandlungen, die eine grossen Teil des Films einnehmen, erfährt man von dessen traumatischen Kindheit. Auch Yassers Beweggründe kann man irgendwie nachvollziehen – und doch würde man den Protagonisten wohl am liebsten einmal ordentlich den Kopf waschen. Kamel el Basha und Adel Karam spielen ihre Rolle aber so feinfühlig, dass man dennoch beiden Figuren etwas abgewinnen kann. Genau damit schafft es das Drama auch, seine unter die Haut gehende Botschaft zu übermitteln: Jeder Standpunkt – sei er noch so radikal oder unverständlich – hat zumeist einen Ursprung, den es zu begreifen gilt. Realistisch und ohne zu verklären, aber dennoch versöhnlich ist The Insult damit sowohl Zeitdokument als auch ein zeitloser, universeller Erklärungsansatz für die Entstehung von Hass und Vorurteilen – und könnte somit aktueller nicht sein.
Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.
Login & Registrierung