Encordés Schweiz 2017 – 106min.
Filmkritik
Tortur mit Methode
Die Patrouille des Glaciers ist eines der härtesten Skibergsteigrennen der Welt. Encordés porträtiert drei sehr unterschiedliche Personen, die an der Austragung 2016 teilnehmen.
Die Schweizer und die Berge – eine Liebesbeziehung. Wir fahren auf ihnen Ski, wir erklimmen mit der Bahn ihre Gipfel, wir bewandern sie mit gutem Schuhwerk. Wer es noch herausfordernder mag, klettert an ihnen mit Seil und Steigeisen hoch. In diesem athletischen Extrembereich spielt sich auch die Patrouille des Glaciers ab, einem der härtesten Skibergsteigrennen der Welt. Ursprünglich ein Patrouillenlauf der Gebirgsbrigade 10, der während des 2. Weltkrieges erstmals durchgeführt wurde, mühen sich heute Männer und Frauen in Dreierteams an den 112 Leistungskilometern ab. Die gesamte Strecke – es gibt auch eine verkürzte Variante – verläuft von Zermatt nach Verbier, wobei sich der höchste zu überwindende Punkt auf 3650 Meter Höhe befindet.
Wer tut sich so etwas an? Und warum? Das waren zwei der vielen Ausgangsfragen von Regisseur Frédéric Favre, die er mit seinem Dokumentarfilm Encordés beantwortet will. Entsprechend nähert er sich dem Rennen über die Athleten – genauer über drei Personen, die es unabhängig voneinander bestreiten und sich charakterlich stark unterscheiden.
Der mehrmalige Patrouille-Teilnehmer Guillaume versucht neben Beruf und Familie genügend Zeit freizuschaufeln, und mit einer optimalen Vorbereitung endlich die Schallmauer von acht Stunden Laufzeit zu knacken. Genauso wie er liebt auch Florence die Natur innigst. Diese ist für sie seit dem Tod ihres Vaters auch ein Raum der Zuflucht geworden. Da Florence diesen meist alleine betritt, fällt es ihr jedoch schwer, sich in ein Team einzuordnen. Reichlich Gepäck aus der Vergangenheit trägt auch Antoine mit sich: Als Jugendlicher wusste er nicht mit seiner Energie und Unsicherheit richtig umzugehen. Nach einer Gefängnisstrafe wegen Drogenmissbrauchs hat er im Schneesport ein Ventil für seine Rastlosigkeit gefunden.
Gute zwei Drittel des Films wendet Favre für die Vorbereitungen für die Rennausgabe 2016 auf. Das heisst immer wieder: Unerbittliches Training. Favre ist hier mit der Handkamera so nahe wie möglich dabei und lässt den Zuschauer die physischen Entbehrungen intensiv nachvollziehen. Zwischen diesen Einheiten formt Favre stetig das persönliche Profil aller porträtierten Menschen aus. All dies verdichtet sich dann im Rennen selbst: Schmerz und Glücksgefühl, Mensch und Athlet sind hier mitunter nicht mehr trennscharf zu unterscheiden. Der Wettkampf wird mit jeder weiteren Zeiteinblendung zu einer Tour de Force, die im krassen Kontrast zur ruhenden, unglaublich schönen Alpenlandschaft steht.
Fréderic Favre schafft es in Encordés gekonnt, sowohl die Leiden, als auch die Leidenschaft seiner drei Protagonisten durchdringend zu vermitteln. Seine Auseinandersetzung mit der menschlichen Seite bietet verschiedene Ansatzpunkte, an die selbst dem Wintersport ferne Zuschauer anknüpfen können.
Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.
Login & Registrierung