Happy End Österreich, Frankreich, Deutschland 2017 – 107min.
Filmkritik
Menschliche Abgründe mit humorvoller Leichtigkeit
Fünf Jahre ist es her, dass Michael Haneke mit Amour seinen bislang zartesten, ja sogar liebevollsten und warmherzigsten Film vorlegte (dem aber natürlich immer noch eine große Portion Bitterkeit innewohnte). Da ist es kein Wunder, dass man hellhörig wird, wenn der Nachfolger nun den Titel Happy End trägt. Der 75-jährige Österreicher wird doch nicht etwa altersmilde geworden sein? Doch es dauert nicht lange und man erkennt auch in seinem neuen Film schnell: Das mit dem glücklichen Ende, das ist selbstverständlich in höchstem Maße ironisch gemeint.
Zum Auftakt zeigt Haneke dabei erst einmal Aufnahmen eines iPhones: Es ist der teilnahmslos-genervte Blick der 13-jährigen Eve (Fantine Harduin) aufs Leben und die verhasste Mutter. Als diese wenig später nach einer Tabletten-Überdosis im Krankenhaus kommt, landet Eve bei ihrem Vater (Mathieu Kassovitz) – und Haneke in seinem gutbürgerlichen Lieblingsmilieu. Der wiederverheiratete Thomas, der zu seiner Tochter eigentlich keine Beziehung hat, lebt in Calais in einem beinahe herrschaftlichen Anwesen, Seite an Seite mit seiner Schwester Anne (Isabelle Huppert), die das Familienunternehmen leitet, dem schwächelnden Patriarchen Georges (Jean-Louis Trintignant) und Personal aus Marokko. Annes Sohn Pierre (Franz Rogowski) ist das schwarze Schaf der Laurents, für den der Unfall auf einer der Baustellen der Firma –vom Regisseur natürlich mittels einer Überwachungskamera gefilmt – bei weitem das geringste Problem ist.
Pierre, der als einziger in der Familie die vor der Haustür stattfindenden Flüchtlingsdramen zumindest nicht auszublenden scheint, ist im familiären Konstrukt mindestens so sehr Fremdkörper wie Neuankömmling Eve, die mit Opa Georges ein dunkles Geheimnis teilt. Doch von glücklichem Miteinander jenseits der Oberflächenwirkung kann, wie immer bei Haneke, in Happy End ohnehin nicht die Rede sein. Hier kreist jeder in einem Meer der Empathielosigkeit um sich selbst – und dass Facebook-Chats, iPhone-Videos und Snapchat zur Illustrierung der allgemein fehllaufenden bzw. nicht stattfindenden Kommunikation herhalten müssen, gelingt diesem meisterlichen Regisseur weit weniger plump als es klingt.
Die emotionale Wucht, die Haneke selbst aus seinem kühlen Blick auf unsympathische Figuren entwickeln kann, und die den Zuschauer in seinen stärksten umhaut wie ein Schock, erreicht sein neuer Film nur sehr bedingt (etwa im großartigen Schlussbild). Doch die Kontrolliertheit und Präzision, mit der er und seine hervorragenden Schauspieler den Stoff auf die Leinwand bringen, ist auch dieses Mal sehenswert. Zumal für Haneke-Experten, schließlich knüpft er inhaltlich wie formal raffinierte Bande zu früheren Werken, durch vertraute Themen wie sozialer Kälte, den Wurzeln der Gewalt oder der Todessehnsucht und Referenzen an Benny’s Video, Caché oder eben Amour. Was nicht heißt, dass der Oscar-Gewinner nicht auch Neues wagt. Denn nicht nur darf sich Rogowski in einer eindrücklichen Karaoke-Nummer zu Sia austoben. Durch die menschlichen Abgründe weht dieses Mal auch immer wieder eine ungewohnt humorvolle Leichtigkeit.
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