Liquid Truth Brasilien 2017 – 87min.
Filmkritik
Glasklare Sache
Ein Schwimmlehrer wird verdächtigt, sich mit einem 8-jährigen Schüler etwas allzu vertraut verhalten zu haben, worauf die Eltern auf die Barrikaden gehen und in den sozialen Medien ein Shitstorm ausbricht: Wie schmal der Grat zwischen Wissen und Urteil und zwischen Schuld und Unschuld ist, zeigt das brasilianische Drama Liquid Truth.
Er könnte mit seinen vollen Lippen, den blonden Locken und seinem gestählten Körper gerade so gut ein Rettungsschwimmer in «Baywatch» sein, entgegen dem ersten Eindruck ist aber ein in die Jahre gekommenes Hallenbad irgendwo in Brasilien sein Arbeitsort. Und der attraktive Rubens (Daniel de Oliveira) ist mit Leib und Seele Schwimmlehrer. Dass er mit Herzblut dabei ist, merkt man daran, dass er von allen gemocht wird: Der Empfangsdame, den Kollegen – und allen voran den Kindern, mit denen er einen liebevollen und intimen Umgang pflegt.
Eines Tages soll ausgerechnet ein ihm sehr nahestehender 8-jähriger Junge namens Alex (Luiz Felipe Mello) Rubens bei seiner Mutter (Stella Rabello) beschuldigt haben, ihn auf den Mund geküsst zu haben. Der von der Mutter getrennt lebende Vater (Marco Ricca) sucht daraufhin die Leiterin des Schwimmclubs (Malu Galli) auf, die zwar offensichtlich nicht vollends von Rubens Unschuld überzeugt ist, nichtsdestotrotz aber zunächst nichts unternimmt.
Heikel wird die Lage für Rubens erst, als Alex’ Mutter Marisa ihrem Ärger über die Passivität der Leiterin des Schwimmclubs Luft macht, indem sie in einem Facebook-Chat des Clubs den anderen Eltern von den Geschehnissen erzählt. Die Neuigkeiten verbreiten sich via Social Media wie ein Lauffeuer, und schon bald getrauen sich keine Eltern mehr, ihre Kinder beim 33-jährigen Schwimmlehrer in den Unterricht zu schicken. Und auch die Polizei steht schon bald auf der Matte…
Carolina Jabor spielt in ihrem auf einem Theaterstück aufbauenden Drama Liquid Truth ganz klar mit den Grenzen zwischen Schuld und Unschuld, zwischen Wissen und Urteil. Es scheint zunächst ganz klar, dass Rubens unschuldig ist – nur schon, weil in seinem Beruf eine gewisse Art von Körperkontakt mit den Kindern unvermeidlich ist. Oder ist seine Freundin, die einzige, die von Rubens Unschuld felsenfest überzeugt ist, ein Indiz für Rubens Schuld? Im Laufe der rund 90 Minuten kommen immer wieder Informationsbrocken an die Oberfläche, die einen als Zuschauer erneut in eine andere Richtung lenken.
Unterstützt wird diese Hetzjagd der Eltern, aber auch des Zuschauers, mit einem durchdringenden Score, der dem Drama beinahe eine Thriller-Komponente verleiht. Leider verpasst es Liquid Truth, den Spannungsbogen bis zum Schluss zu halten – auch, weil er viele Fragen offenlässt. Solide Schauspielleistungen und interessante sowie den Zeitgeist treffende Überlegungen rund um die Themen Pädophilie, Homosexualität und Social Media als Mittel der Selbstjustiz sorgen aber nichtsdestotrotz dafür, dass man als Zuschauer gerne am Ball – oder passender: in der Bahn – bleibt. Manchmal ist die Wahrheit halt doch nicht so glasklar, wie man sie sich wünschen würde.
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Kommentare
Die ZuschauerInnen im Kino hätten sich doch einen etwas weniger abrupten und offenen Schluss gewünscht. Aber - wie hätte der dann ausgeschaut?
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