CH.FILM

Non ho l'età Italien, Schweiz 2017 – 94min.

Filmkritik

Die Melodie der Heimat

Julian Gerber
Filmkritik: Julian Gerber

Musik kann starke Gefühle hervorrufen – so auch bei den vier Hauptakteuren in «Non ho l’età», die Mitte der 60er-Jahre im Zuge der grossen italienischen Einwanderungswelle in die Schweiz kamen. Mit der Sehnsucht nach der Heimat im Gepäck wurde das Lied der jungen Sängerin Gigliola Cinquetti für die Auswanderer zu einem treuen Begleiter in einem fremden Land, in dem sie nicht immer mit offenen Armen empfangen wurden.

Als die schöne Italienerin Gigliola Cinquetti 1964 den 1. Platz für Italien beim Eurovision Song Contest gewann, wurde sie über Nacht zum Liebling der Nation. Mit dem Lied «Non ho L’età» sang sie sich unter anderem in die Herzen derer, die ihre Heimat Italien verliessen, um sich in der Schweiz eine neue Existenz aufzubauen. Und genau darum geht es in der Dokumentation von Olmo Cerri: Anhand von vier Fanbriefen an die junge Sängerin machte sich der Regisseur auf die Suche nach den Menschen hinter den emotionalen Botschaften. Entstanden ist ein Film, der die Auswanderer-Schicksale mitsamt ihren Träumen und Hoffnungen beleuchtet – und dies zu einer Zeit, als die Schweizer den Gästen aus dem Land der Sehnsucht zum Teil noch sehr skeptisch gegenüberstanden. Erzählt wird die Geschichte von Carmela, Don Gregorio, Gabriella und Lorella, die sich zwar nicht kennen, aber die durch ihre Geschichte in Verbindung stehen – einer Geschichte von Migration, Identität und Herkunft.

Non ho l’età rollt ein wichtiges Kapitel der Schweizer Geschichte auf und trifft damit den Nerv der Zeit – denn die Migrationsthematik könnte in Zeiten von Flüchtlingsströmen und Masseneinwanderungsinitiative aktueller nicht sein. Die Idee hinter dem Filmkonzept ist extrem ausgeklügelt und verspricht eine intensive Konfrontation der Akteure mit ihrem persönlichen Schicksal. So vielversprechend die Ausgangslage, so durchschnittlich präsentiert sich dann aber das Ergebnis: Die Geschichten der Einwanderer sind zwar zum Teil spannend anzuhören und sorgen für eine nostalgische bis melancholische Grundstimmung, im gesellschaftlichen Kontext schöpft die Dokumentation ihr Potential jedoch nicht aus. Die damals kontrovers diskutierte Überfremdungsinitiative ist zwar ein Thema, die existenzielle Bedrohung, die sie für Zehntausende von Menschen darstellte, bringt der Film jedoch zu wenig rüber. So präsentiert sich Non ho l’età eher als unaufgeregte Aneinanderreihung von Alltagsgeschichten, die das Leben der Heimweh-Italiener in der Schweiz mit allen Hürden und Problemen thematisieren, ohne dabei konsequent den gesamtgesellschaftlichen Bezug herzustellen.

28.11.2017

3

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