Visages villages Frankreich 2017 – 89min.

Filmkritik

Jenseits von Paris

Irene Genhart
Filmkritik: Irene Genhart

Die Grande Dame der Nouvelle Vague, Agnès Varda, und der Street-Art-Künstler JR haben zusammengespannt und lassen in einem ausgesprochen poetischen Roadmovie Frankreichs Provinz neu entdecken.

Einfach so wären sie sich wohl auch kaum begegnet: der 1983 geborene Fotograf und Street-Art-Künstler JR und die 55 Jahre ältere Filmemacherin Agnès Varda. Derweil JR seit 15 Jahren um die Welt tingelt und mit seinen überlebensgrossen Fotos Triumphe feiert, erlebte Varda ihre grossen Zeiten als eine der wichtigsten Vertreterinnen der Nouvelle Vague in den 1960er- bis 1990er-Jahren mit Filmen wie Cléo de 5 à 7 und Sans toit ni loi, 2008 hat sie sich mit Les plages d‘Agnès eigentlich von der Leinwand verabschiedet. Doch JR, der immer einen Hut und selbst in Innenräumen seine Sonnenbrille trägt, sodass sich Varda durch ihn stets an ihren früheren Copain Jean-Luc Godard erinnert fühlt, ist mit Vardas Filmen aufgewachsen und von diesen bis heute begeistert. Er liebt Menschen. Vor allem ältere Menschen, wie seine Grossmutter, die man in Visages Villages übrigens auch kennenlernt.

Er hat den Kontakt zu Varda gesucht und sie schliesslich überredet, in seinen zum Fotomobil umgebauten Minivan einzusteigen. Acht Wochen lang sind die beiden kreuz und quer durch Frankreich gereist. Dabei haben sie nach Lust und Laune Station gemacht. Sich umgesehen an Orten, die sie von früher kennt oder auf die er aufgrund seiner Recherchen neugierig ist. Sie haben Menschen getroffen, nach ihren Geschichten gefragt und Fotos geschossen: von Ziegen mit Hörnern. Von Bewohnern verschlafener Provinz-Städtchen und abgelegener Dörfer. Von einem altem Briefträger, einer jungen Kellnerin und vom Bauer, der heute alleine einen Hof von der Grösse bebaut, die in seiner Kindheit zehn Höfe zusammen hatten.

Sie haben an die Tür des letzten noch bewohnten Hauses einer Bergbausiedlung geklopft, die Chlorfabrik von Château-Arnoux-Saint-Auban besucht, die Frauen der Hafenarbeiter von Le Havre vor die Kamera gebeten. Sie haben ihre Reise und ihre Aktionen gefilmt und festgehalten, wie die Menschen auf die überlebensgrossen Fotos reagierten, die sie gut sichtbar im öffentlichen Raum – Hausfassaden, Scheunen, Schiffscontainer – platzierten. Entstanden ist so ein ausnehmend poetisches und im Tonfall selbst bei Erwähnung ernsthafter Themen heiteres Roadmovie, das ebenso eine Liebeserklärung an Frankreichs wechselhafte Landschaften und deren Bewohner ist, wie es auch eine Reise durch das kollektive und persönliche Gedächtnis markiert. Vor allem aber ist Visages Villages das faszinierend intime Dokument über das Wachsen einer aussergewöhnlichen Künstler-Freundschaft.

21.02.2024

5

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Kommentare

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selinaburri

vor 6 Jahren

TOLL!!


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