Willkommen in der Schweiz Schweiz 2017 – 83min.
Filmkritik
Willkommen in der Schweiz
Das Dorf Oberwil-Lieli lehnte 2015 die Aufnahme einer Handvoll Flüchtlingen ab, in vorderster Front Gemeindeammann Andreas Glarner (SVP). Die Zürcher Filmerin Sabine Gisiger ging der Sache auf den Grund – lokal und national. Ein entlarvendes Dokument zur Flüchtlingsbefindlichkeit – ohne Polemik.
«Integration ist eine Frage der Menge», behauptet der Glarner Andreas Glarner, der seit 1994 in Oberwil-Lieli wohnt und dort seit 2006 Gemeindeammann ist. «Bei uns ist grundsätzlich jede und jeder willkommen, der zur Prosperität unseres Landes beiträgt und bereit ist, sich zu integrieren.» Hehre Worte des SVP-Migations- und Asylexperten, doch in Wahrheit gibt er, der Gemeindeammann, Flüchtlingen praktisch nicht die Möglichkeit, sich zu integrieren. Im Namen seines 2200-Seelendorfes im Bezirk Bremgarten weigerte er sich eine Handvoll Flüchtlingen aufzunehmen, die vom Kanton zugewiesen wurden. Er schob sie lieber in eine Nachbargemeinde ab und leistete Ersatzzahlung: «Willkommen in der Schweiz»! Diese Massnahme empörte manche Mitbürger, brachte ihm zugleich Zustimmung ein. Glarner wurde im November 2015 in den Nationalrat gewählt, will nun aber das Amt des Gemeindeammanns abgeben.
Die Zürcher Filmerin Sabine Gisiger gehört zur empörten Fraktion und fragte sich, was Menschen in der Flüchtlingsfrage umtrieb, engagierte, motivierte, bewegte, beunruhigte. Sie ging der Frage auf den Grund – lokal, national, auch historisch. Als Antipol zum genannten Gemeindeammann, der auch in dieser Dokumentation selbstsicher und nahezu arrogant auftrat, erläuterten die Studentin Johanna Gündel aus Oberwil-Lieli und die Grüne Politikerin Susanne Hochuli ihre Standpunkte. Sie bekämpften Glarner und seine rigorose SVP-Asylantenhaltung. Geschickt lässt Gisiger zu den aktuellen Entwicklungen historische Aufnahmen einfliessen – von der Grenzschliessung im Zweiten Weltkrieg, von der Flüchtlingsnot 1950 (Wochenschau), von der Schwarzenbach-Initiative 1970.
Wie ein antikes Drama hat Sabine Gisiger (Yalom's Cure, Dürrenmatt, eine Liebesgeschichte) hat ihren Dokumentarfilm aufgebaut – in fünf Akten, durchsetzt mit zwei Chören, dem Intergalaktischen Chor, 2012 von Zürcher Studentinnen gegründet, und vom Mechaje Ensemble aus Basel, politisch und religiös unabhängig. Das Ensemble konzentriert sich auf jiddisches und sephardisches Liederguts. Die Fallstudie um einen krassen Fall von Verweigerung wird zum Spiegelbild der Schweiz – über die Spaltung in Verweigerer und Helfer, Besitzwahrer und sozial engagierten Humanisten. Spannend, aber sachlich, ohne Polemik, aber mit viel Empathie. Gisiger wollte, so ihr Anspruch, «lakonisch hinsehen» und «nicht aufgeregt sein». Das ist ihr trefflich gelungen. Es versteht sich, dass der Filmtitel «Willkommen in der Schweiz» doppeldeutig verstanden werden kann, im Grunde ist er ironisch gemeint.
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Kommentare
Ein super Film, überhaupt nicht wertend sondern extrem informativ und spannend wie unsere Politik funktioniert!
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