1999 - Wish You Were Here Kanada, Schweiz 2018 – 94min.
Filmkritik
Auf der Suche nach der verlorenen Jugend
1999 schwappte über die Highschool Mathieu-Martin in Moncton, Kanada, eine Welle von Suiziden. Samara Grace Chadwick, die damals ihre beste Freundin verlor, kehrt mit ihrem Film an den Ort des Geschehens zurück.
Man kennt es: Irgendwann trifft man ehemalige Schulkameraden wieder, erinnert sich gemeinsam verbrachter Zeiten, wenn es hoch kommt, nimmt dabei eine eingerostete Freundschaft ihren Neuanfang. Nicht so im Fall von Samara Grace Chadwick. Die Kanadierin hat dem Ort ihrer Kindheit und Jugend nach der Schule den Rücken gekehrt und anderswo Karriere gemacht. Als sie nun zurückkehrt, hat sie ihre Kamera dabei und will sich den Schatten stellen, die sich unverhofft über ihre Jugend legten: Die Suizide einer Reihe von Mitschülern, darunter ihre beste Freundin, Isabelle. Mit ihr hatte sie alles davor geteilt. So auch den Kummer über den Selbstmord von Isabelles Freund S. am 31. März 1999, mit dem «alles» begann.
Es gibt keine Erklärungen für das freiwillige Aus-dem-Leben- Scheiden eines 16-Jährigen. Damals nicht, heut nicht: Nebelhaft-verworren sind die Erinnerungen. Versatzstücke einer verdrängten Vergangenheit, die Chadwick nun schwebend verortet in den Räumen, in denen das gemeinsame Leben damals hauptsächlich spielte: in den Korridoren, Treppenhäusern, Klassenzimmern, Studienräumen, Aula, Mensa und Aussenanlagen der Ecole Mathieu-Martin in Moncton, die, als 1999 dem ersten Suizid ein zweiter, dritter, vierter folgten, zur «Suicid High» wurde.
Ist Selbstmord ansteckend, fragte man damals, fragt Chadwick heute. Ehemalige Schulkameraden, an deren Tür sie klopft, mit denen sie durch Monctons Quartiere fährt und die auf keiner Karte verzeichneten Orte der Jugend aufsucht. Eine Lehrerin, die damals Literatur und Theater unterrichtete, liess die Schüler Tagebuch schreiben und hat Chadwick diese anvertraut. Wiedergelesen ergeben sie zusammen mit alten Fotos und Videos nicht nur Anhaltspunkte für bestimmte Ereignisse – etwa einen Talentwettbewerb, bei dem Isabelle nach S.’ Tod «Wish You Were Here» vortrug –, sondern vermitteln auch einen Eindruck der damals herrschenden Stimmung einer nicht fassbaren Angst.
1999 – Wish You Were Here ist schwere Kost. Aber Chadwick hat mutig experimentierend eine dem Erzählten angemessene Form gefunden. Und auch wenn sie auf ihre Fragen keine Antworten findet, so ist ihr doch zumindest gelungen, das seit damals lähmende Trauma in etwas zu verwandeln, mit dem sich besser leben lässt: die Trauer über den Verlust von Menschen, mit denen man einst das Leben teilte.
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