Photo de famille Frankreich 2018 – 98min.
Filmkritik
Neu geknüpfte Familienbande
Cécilia Rouaud erzählt mit viel Sinn für alltagsnahen Humor, wie der Tod eines Mannes und die Demenz seiner Frau die Nachkommen ihre seit Jahren zerrütteten Beziehungen neu aufzugleisen zwingt.
Es geht Gabrielle, Elsa und Mao wie vielen: Durch die Scheidung ihrer Eltern auseinandergerissen, haben sie sich als Erwachsene aus den Augen verloren. Doch nun trifft man sich bei der Beerdigung des Grossvaters unverhofft wieder. Dabei stellt man fest, dass Oma körperlich zwar fit, aber geistig verwirrt ist, sodass sie unmöglich allein wohnen kann. Und weil Oma sich in ein Heim zu ziehen weigert, beschliesst man, sie in der Familie zu betreuen. Nun hat man plötzlich eine gemeinsame Aufgabe und kommt sich – nicht zuletzt in Erinnerung an die früher regelmässig bei Opa und Oma auf dem Land verbrachten Sommer – allmählich auch wieder näher.
Es ist dies eine kleine Geschichte. Sie ist nicht sonderlich originell – und versucht es auch gar nicht zu sein. Tatsächlich liegt Stärke des Films anderswo. In der präzisen Schilderung des Alltäglichen und der einfühlsamen Beschreibung emotionaler Befindlichkeiten, für welche Cécilia Rouaud, für Regie wie fürs Drehbuch verantwortlich, oft kaum Worte gebraucht. So sieht man in einer Szene zum Beispiel, wie ein junger Mann – Mao – spätnachts in einer Metrostation immer näher an die Bahnsteigkante tritt. Kein Mensch scheint sein suizidales Gebaren zu beachten, ein Clochard klimpert auf einer Gitarre einen Song von Cat Stevens. Einen Schritt bräuchte es noch – da verstummt die Gitarre. Mao schaut auf, tritt zurück, der Clochard klimpert weiter.
In vielen losen kleinen Episoden stellt Rouaud so die Familie vor: Den genialen, aber beziehungsgestörten Game-Designer Mao. Die lebenslustige und alleinerziehende Gabrielle, die mit ihrem pubertierenden Sohn kaum zurechtkommt. Die resolute Sozialarbeiterin Elsa, die ihr Eheglück von Kinderlosigkeit bedroht sieht. Dazu die Eltern: Psychotherapeutin Claudine, die mit ihren eigenen Kindern kaum normal umzugehen verstand, Frauenheld Pierre, der für seine Kinder kaum Zeit hatte. Doch so dysfunktional diese Figuren scheinen, so sind sie durchs Band sehr human und überaus liebenswert; vor allem die von Claudette Walker gespielte Grossmutter, die immer mal wieder ausbüxt, um in ihr Heimatdorf zu fahren, ist absolut charmant. So schreibt sich Photo de famille mit dezidiert weiblicher Handschrift ein in einen Kanon typisch französischer Komödien, welche mit feiner Lakonie und bezaubernder Leichtfüssigkeit nichts anderes tun, als die Freuden und Sorgen des täglichen Seins beschreiben.
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