Climax Frankreich 2018 – 95min.

Filmkritik

Tanz ins Verderben

Peter Osteried
Filmkritik: Peter Osteried

Am Anfang sieht man die Audition-Videos – auf einem alten Fernseher, eingerahmt von einem Stapel von Büchern und Videokassetten. Letztere geben Aufschluss über die Vorlieben des Regisseurs, aber auch darüber, in welche Welt er in den nächsten anderthalb Stunden entführen wird. Die Wucht des andalusischen Hundes trifft auf die grimmig brutale Sicht eines Kenneth Anger – alles gefiltert durch die Augen des Ausnahmetalents Gaspar Noé.

Eine Gruppe von französischen Tänzern trainiert für die amerikanische Tournee und will am Abend feiern. Man trinkt Sangria, man tanzt ausgelassen zu den hämmernden Beats, bis es einigen schlecht geht und andere ein totales High haben. Jemand hat den Sangria mit Drogen versehen. Wer, das ist niemandem klar, aber ein Horrortrip beginnt, bei dem aus Angst sehr schnell Paranoia wird und unterschwellige Aggression sich in enthemmter Gewalt entlädt. Dies ist die Nacht, in der sich Ekstase in brachialer Form Bann bricht.

Noé hat in den letzten 20 Jahren fünf Filme gemacht. Andere Regisseure mögen ein grösseres Oeuvre haben, Filme von der bildgewaltigen Wirkkraft eines Noé lassen sich aber nicht aus dem Ärmel schütteln. Hier hat man einen Filmemacher, der seiner eigenen Passion folgt, der kompromisslos erzählt und nicht abblendet, wenn es hässlich wird. Er zeigt eine Welt, die von Chaos und Anarchie zerschmettert wird. Eine Normalität, die sehr schnell ad absurdum geführt wird. Ein Schlag in die Magengrube, die nicht jeder Kinogänger verträgt. Aber ob man Noés Werke nun mag oder nicht, kalt lassen sie wirklich niemanden – am wenigsten den Künstler selbst, der an seinen Träumen und Albträumen teilhaben lässt.

Das gilt auch für Climax, bei dem Noé seine übliche Position verlagert: Er erzählt nicht aus der internalisierten Perspektive seiner Figuren, sondern betrachtet das Treiben von aussen. Dabei arbeitet er mit langen Einstellungen, die gerade in den Tanzsequenzen eine mitreissende, betörende Wirkung entfalten. Der Beat hämmert unablässig, die Musik lässt einen kaum im Sitz verharren, während die Bilder einen genau darin hineinpressen.

Dieser Film ist eine Urgewalt, dessen Dreh weitestgehend ohne Drehbuch auskam. Noé hatte eine Outline und arbeitete mit den Tänzern an ihren Rollen, setzte aber weitestgehend auf Improvisation. Nur die erste grosse Tanzeinlage ist choreographiert, der Rest entspringt ganz und gar den Leidenschaften der Künstler selbst. Das bietet, wie Noé erklärt, „den Tänzern alle Freiheit, sich in ihrer eigenen Sprache auszudrücken, die sich oft ganz nahe am Unterbewussten bewegt.“ Zugleich formiert sich so eine Realität, die die Grenzen zur Fiktion aushebelt. Noés Werk hat eine Wahrhaftigkeit, die in ihrer Intensität atemberaubend, aber auch verstörend ist.

15.02.2024

5

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Kommentare

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thomasmarkus

vor 5 Jahren

In der Tat ein Schlag in die Magengrube - schwanke zwischen keinem und fünf Sternen

basc60

vor 5 Jahren

E
in 5-Sterne-Schlag


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