Cronofobia Schweiz 2018 – 93min.
Filmkritik
Die Schatten der Vergangenheit
Ein mysteriöser, einsamer Mann und eine traumatisierte Frau treffen in diesem psychologischen, besonnen inszenierten Drama aufeinander. Ein Film über Identitäten, Abhängigkeiten und die Akzeptanz grosser Verluste.
Anna (Sabine Timoteo) fühlt sich seit dem Tod ihres Mannes dem Leben entrissen. Sie kämpft sich durch ihren Alltag und hat mal bessere, mal schlechtere Tage. Suter (Vinicio Marchioni) arbeitet als Privatdetektiv. Als „Testkunde“ deckt er in Geschäften und Hotels Kriminalität auf und überprüft den Kundenservice. Er schlüpft dabei ständig in andere Rollen und droht sich hinter all seinen Verkleidungen zu verlieren. Als Anna und Suter aufeinandertreffen, fühlen sie sich einander sofort nahe. Doch ein dunkles Geheimnis liegt über allem.
Cronofobia ist der Spielfilm-Erstling von Francesco Rizzi. Der Schweizer studierte in Freiburg Kunstgeschichte und Literatur und debütierte 2010 mit seiner Video-Dokumentation La culla del Dio morente. Er realisierte Cronofobia, der im Herbst 2018 beim Saarbrücker Filmfest Max-Ophüls-Preis Premiere feierte, in verschiedenen Gemeinden im Tessin.
Die Chronophobie beschreibt eine spezifische Form der Angststörung, bei der Betroffene Furcht vor dem Verrinnen der Zeit haben. Die beiden ambivalenten Hauptfiguren, Anna und Suter, denken nahezu unaufhörlich an die unwiederbringliche Vergangenheit. Etwas Tragisches hat sich ereignet, darauf deuten die an passenden Stellen und blitzartig in die Handlung eingebauten Flashbacks hin. Dieses Trauma ist es, das die Beiden verbindet. Die grösste Herausforderung: Zu akzeptieren, dass das Verlorene niemals zurückkehren wird. Langsam und unsicher nähern sich Anna und Suter einander an. Sie spüren eine starke Anziehung, stossen sich – wie ein Magnet – allerdings auch immer wieder ab.
Es ist diese brüchige, mysteriöse Verbindung, die den Reiz des Films ausmacht. Und die von den beiden Hauptdarstellern beachtenswert und jederzeit glaubhaft gespielt wird. Vinicio Marchioni und Sabine Timoteo überzeugen durch ihre präzisen und hingebungsvollen Darstellungen. Marchioni agiert dabei mit stoischer Miene und schwermütigem Blick. Seine Figur ist ein schweigsamer Einzelgänger, der am liebsten in abseits gelegenen Raststätten sitzt und die Menschen beobachtet. Sabine Timoteo brilliert als innerlich gebrochene Frau, die unter Schlaflosigkeit leidet und suizidal ist, was der Film in kurzen Szenen mehrmals andeutet.
Zur unheilvollen Drohkulisse tragen zudem die verstörenden Geräusche und durchdringenden Töne bei, von denen Cronofobia lebt. Am Ende bleiben zwar einige Fragen offen, doch dieses Rätselhafte passt letztlich zu diesem andeutungsreichen, poetischen Werk, das viele unbequeme Fragen aufwirft.
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Kommentare
Allein schon der Beipackzettel zu diesem Film schreckt die Hälfte der Interessenten ab und wenn Mr Google auch nicht hilft, geht die andere Hälfte von der Fahne. Der Titel bezeichnet die Angst vor dem Vergehen der Zeit. Umgangssprachlich auch Torschlusspanik genannt. Es kann aber auch die Angst vor dem anderen Geschlecht sein oder die Angst vor allem Andersartigen.
Das versucht Regisseur Rizzi an zwei Figuren zu veranschaulichen: Michael (Vionicio Marchioni) ist Privatdetektiv und Anna (Sabine Timoteo), eine vereinsamte Friseurin in tiefer Trauer um ihren Mann. In bruchstückhaften Versatzstücken kommen sie sich näher ohne sich echt zu begegnen. Gemeinsames Kochen, Joggen, Kneipenbesuch läuft ins Leere, nicht einmal eine lesbische Dreierintimität, bei der Michael zuschaut, kann etwas Aufregendes bewirken. Beide bleiben kalt und tot wie der New Yorker Friedhof, nur kleiner.
Wieso hat er sich diese seltsame Randfigur ausgesucht? Andere Frauen wie die nette, adrette Bedienung Katja strahlen ihn doch ermunternd an. Vielleicht ist es die alte Binsenweisheit, dass sich Seelenverwandte gegenseitig anziehen und eventuell in den Abgrund ziehen. Wenn der Zuschauer das begreift, versteht er, dass diese Gefühle nicht die Oberhand in seinem Leben gewinnen dürfen.… Mehr anzeigen
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