Der Klang der Stimme Schweiz 2018 – 82min.
Filmkritik
Die Zauberkraft des Singens
Nachdem er vor sechs Jahren mit Die Wiesenberger einen der schönsten Schweizer Jodlerfilme vorstellte, setzt sich Bernard Weber nun mit der menschlichen Stimme auseinander, bzw. mit dem, was sich im Extremen damit machen lässt. Sein Film ist ein betörendes Hör-Erlebnis.
Es gibt in Günter Grass‘ Roman „Die Blechtrommel“ – und bildlich sehr beeindruckend in dessen Verfilmung von Volker Schlöndorff – den kleinwüchsige Oskar Matzerath, der im Zorn so hoch, rein und laut zu singen vermag, dass Glas zerspringt. Das ist selbstverständlich Unfug. Es sagt aber viel über die menschliche Stimme – das heisst: des Menschen Fähigkeit, mittels Stimmlippen in Mund-, Rachen- und Nasenhöhlen Schall zu modulieren – und die unglaubliche Kraft, die diesem Akt innewohnt.
Bernard Weber hat während der Arbeit an Die Wiesenberger (2012) einen kleinen Eindruck davon erhascht. In Der Klang der Stimme forscht er dieser in den Begegnungen mit vier Stimmprofis nun weiter nach. Da ist die Luzerner Sopranistin Regula Mühlemann, die nie von einer Profi-Karriere träumte, über deren glasklaren Stimme sich die Kritiker heute aber vor Lob überschlagen. Der in Visp geborene Andreas Schaerer hingegen hat schon als Junge entdeckt, was er mit seiner Stimme alles anstellen kann und eigenwillige Kompositionen mit Namen wie „Duo für Nähmaschine und Mundharmonika“ kreiert, er experimentiert heute mit Jazzformationen ebenso wie mit Sinfonieorchestern. Jahrelang überzeugt, nicht singen zu können, war Miram Helle. Doch dann nahm sie ihre Ausbildung zur Stimmtherapeutin in Angriff und heute hilft sie Menschen ihre persönliche Stimme zu entdecken. Und dann ist da noch der auf Sprach-, Stimm- und Hörstörungen spezialisierte Arzt Matthias Echternach, einer der renommiertesten Stimmforscher der Welt.
Was die vier verbindet, ist ihre Faszination für die menschliche Stimme. Die Leidenschaft, mit der sie unermüdlich Grenzen ausloten und dabei ins Extreme gehen. So sucht Mühlemann – man erlebt sie bei Tonaufnahmen, bei Proben und im Gespräch mit Lehrern – seit Jahren den perfekt im Raum schwebenden 360°-Klang. Schaerer (er-)findet bei seinen Auftritten rund um die Welt immer neue Klänge und Miriam Helle beschert Stimm-Profis ebenso einmalige Erlebnisse, wie dem sich auf die Geburt eines Kindes vorbereitenden Paar. Am spannendsten aber ist Der Klang der Stimme, wo Echternach mit wissenschaftlichen Methoden dem Geheimnis der Stimme auf die Schliche zu kommen versucht. Die Szenen, in denen man dank Mikro-Kamera erfährt, was mit den Stimmbändern der Frau mit der höchsten Stimme der Welt (Georgia Brown) geschieht, wenn sie singt, sind sensationell. Und wenn Nadja Räss fröhlich losjuchzt, auf der Leinwand aber nur MRI-Aufnahme des Innern ihres Kopfes zu sehen sind, wird dieser wohlkomponierte Film selber zum einmaligen Hör- und Seherlebnis.
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