Spuren und Geschichten - Un voyage entre cinéma et histoire Schweiz 2018 – 73min.
Filmkritik
Kino gegen das Vergessen
Francis Reusser spürt auf den Spuren seiner Erinnerungen seinem Leben sowie der Geschichte des (Schweizer) Film- und Fernseh-Schaffens nach.
Ein Film, lyrisch schön. Die Essenz eines kreativen Lebens. Geformt aus der Erinnerung, bestückt aus dem eigenen Archiv: Bilder und Töne. Weniger Fotos, als Bewegtes. Dazu Texte. Dialoge aus Filmfragmenten. Die Kommentare, meist – aber nicht immer – im Off, zum Nachdenken anregend. Etwa die Unterscheidung der Orte, als Ort, an dem man lebt, von dem man stammt, an dem die Seele zu Hause ist. Dazwischen feinhumorige Beobachtungen. Zum Beispiel, dass man Schauspielern, die in Filmen Fotografen spielen, immer zu zeigen vergisst, wie das geht. So machen sie es alle falsch, wie Francis Reusser demonstriert; der Westschweizer Filmemacher, 1942 geboren, ist sozusagen als Chronist in eigener Sache unterwegs. Als Reisender, der in einem als Roadmovie aufgezogenen Essayfilm den Spuren seines Schaffens und Lebens nachforscht.
Er tut es geografisch assoziativ und gedanklich mäandrierend, aber chronologisch. Am Anfang stehen Kindheit und Herkunft. Väterlicherseits die Innerschweiz, Heiligenschwendi, der Ort, an dem Reusser, obwohl des lokalen Idioms nicht mächtig, sich auf der Bergrestaurant-Terrasse bei Schnitzel und Pommes fast zuhause fühlt. Mütterlicherseits ist es die Haute Savoie, eine Landschaft, in der Reusser auch Filme dreht, etwa Ma nouvelle Héloïse, 2012. Erinnerungen an die Kindheit: den mit 13 verlorenen Vater, die Mutter, von der man nur Fotos kennt. Zwischen dem Genfersee und den Alpen entstehen erste Filme; Vive la mort, (1969) Le grand soir (1976), Seuls (1981).
Die Zuordnung der daraus stammenden Ausschnitte sind für den mit Reussers Werk nicht Vertrauten schwierig. Doch das ist Konzept. Denn so wie sich Wirklichkeit und Fiktion im Leben nicht trennen lassen, treiben sie auch hier ein munteres Verwirrspiel. Wo es seinen Filmhelden sich der Vaterschaft zu entziehen gelingt, holte diese Reusser in Wirklichkeit ein. Jean heisst sein Sohn. Er hat Spuren und Geschichten - Un voyage entre cinéma et histoire „mitgedacht“ und „mitgestaltet“, die Montage besorgt. Die Spuren von Vater und Sohn müssten sich trennen, heisst im Film, doch im Schnee der Bilder laufen sie ineinander über. Und auch wenn Reusser vermeintlich nur über das Eigene nachdenkt, so erzählt der 75-Jährige, der nicht nur fürs Kino, sondern auch das Fernsehen arbeitete und stets augenfällig viel Sorgfalt auf Bild und Ton verwandte, nebenbei auch sehr viel Spannendes über die Schweizer Film- und Kinogeschichte.
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