Les héritières Brasilien, Frankreich, Deutschland, Norwegen, Paraguay, Uruguay 2018 – 95min.
Filmkritik
Jenseits der Komfortzone
Marcello Martessi erzählt in seinem ersten Spielfilm wohltuend unaufgeregt von den Auswirkungen, die der allmähliche Zerfall von Paraguays Oberschicht auf das (Beziehungs-)Leben zweier in die Jahre gekommenen Frauen hat.
Chiquita und Chela sind seit über dreissig Jahren ein Paar. Sie leben im Haus eines ihrer Vorfahren im Villenviertel von Asunción, in ihrer Beziehung hat die einstige Leidenschaft einer komfortablen Routine Platz gemacht: Die praktisch veranlagte Chiquita besorgt den Haushalt, die eher introvertierte Chela verbringt die Tage vor der Staffelei in ihrem Zimmer, erledigt den Papierkram und organisiert der beiden Sozialleben. Aus der Oberschicht stammend haben die beiden bisher vom Geerbten gelebt.
Doch allmählich geht das Geld zur Neige, und seit einer kleinen Weile schon verkaufen sie das antike Mobiliar, in dem sie bisher hausten. Der Markt ist aber ausgetrocknet und der Verkauf wertvoller Erbstücke emotional belastend. Auch kennen sich die beiden, die bisher in einer Art goldenem Käfig lebten und nie in den Arbeitsmarkt einbringen mussten, mit Gesetzen und Vorschriften nicht richtig aus. Das trägt Chiquita irgendwann eine Betrugsklage, schliesslich Untersuchungshaft ein, und zwingt auch Chela, ihr Leben abrupt zu ändern: Zögerlich setzt sie sich, nachdem sie ihre Freundin ins Gefängnis begleitete, ans Steuer des bisher von Chiquita gefahrenen Mercedes und fährt ruckelnd und zuckelnd nach Hause.
Es ist dies eine – auch symbolisch – grossartige Szene in diesem Drama, das sorgfältig eingebettet in das vom Zerfall der Oberschicht geprägte Paraguay davon handelt, wie es sich anfühlt, wenn das Leben in einem Alter, in dem man sich für gewöhnlich zur Ruhe setzt, nochmals einen Neuanfang erfordert. Marcello Martessi erzählt feinfühlig, in farblich zurückgehaltenen Bildern, mit einer Kamera, deren Perspektive oft den (engen) Blick der Protagonistinnen spiegelt. Steht anfänglich die lebenslustige Chiquita (temperamentvoll: Margarita Irun) im Zentrum der Handlung, fokussiert diese zunehmend auf die von Ana Brun intensiv-verhalten gespielte Chela.
Es ist kein einfacher Weg, den diese geht, nachdem sie von einer Nachbarin erstmals um einen Fahrdienst gebeten wird und sich künftig als Chauffeurin verdingt. Doch die Scham über den gesellschaftlichen Abstieg und die Angst vor dem Unbekannten wiegen sich zunehmend auf durch den Gewinn neuer Freiheiten. Las herederas ist nicht nur ein feinfühliges Drama um eine späte Emanzipation, sondern auch ein nachdenklich stimmender Film über gesellschaftliche Veränderungen, welche – nicht nur in Paraguay – ganze Generationen ratlos zurücklassen.
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