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Passion - Zwischen Revolte und Resignation Schweiz 2018 – 80min.

Filmkritik

Zwischen globalem Weltschmerz und eigener Befindlichkeit

Irene Genhart
Filmkritik: Irene Genhart

Ausgehend von historischen Ereignissen, eigenen Erinnerungsstücken und fremden Texten, die des Menschen Verhältnis zur Welt reflektieren, zeichnet Christian Labhart sein bisheriges Leben nach.

Wer, wie Christian Labhart, in den 1950er-Jahren geboren ist, hat im Laufe von über sechs Jahrzehnten grosse – gesellschaftliche, politische, ökologische, mediale – Wandel miterlebt. Diese Wandel und deren Spiegelung in der eigenen Befindlichkeit sind Thema in Labharts als „Essay“ bezeichnetem Dokumentarfilm. De facto handelt es sich dabei um ein mit grossem filmischen Gestus – die Bilder, welche die Kameramänner Pio Corradi (1940-2019) und Simon Guy Fässler als Bestandesaufnahme rund um die Welt einfingen sind sensationell – arrangiertes Klagelied.

Dieses setzt ein mit Bertolt Brechts 1938 verfasstem „Brief an die Nachgeborenen“. Es folgt chronologisch Politisch-Historisches: die Aufbruchsstimmung von 1968, Hippie-Ideale, der die 1980er prägende Kampf gegen die AKWs, RAF-Terrorismus, die Jugendunruhen von 1983. Später kommen: Tschernobyl, Mauerfall, Finanzkrise, 9/11 und Fukushima, Syrienkrieg, Flüchtlingswelle. Darin eingeschrieben, Labharts Biografie: als von Revolutionsideen begeisterter Jugendlicher, engagierter Junglehrer, Mitglied einer idealistischen Kommune. Später: die Gründung einer Familie, der Umzug ins Einfamilienhaus, das die Kinder – flügge geworden – zu verlassen beginnen. Unweigerlich dann die Frage: Bin ich ein Spiesser geworden? Und die Feststellung: Ich habe das Paradies nicht gefunden.

Vor allem aber ist Labhart im Laufe des Lebens der Elan, der persönliche Kampfgeist, abhanden gekommen. Er reagiert darauf mit Melancholie, einer zunehmenden Hoffnungslosigkeit, die gespiegelt wird in leitmotivisch eingeblendeten Schwarz-Weiss-Passagen, in welchen das Collegium Vocale Gent J.S. Bachs Matthäuspassion singt.

Passion – Zwischen Revolte und Resignation ist aufwändig gemacht, bildlich betörend, gedanklich anregend. Doch die Nonchalance, mit welcher der Regisseur das Weltgeschehen unter Beizug grosser literarischer Texte – nebst Brechts Gedicht werden unter anderem Texte von Philipp Blom, Franz Kafka, Slavoj Žižek, Ulrike Meinhof zitiert – direkt auf die eigene Befindlichkeit herunterbricht, ist gewöhnungsbedürftig und wirkt provokativ. Denn ein öffentliches Nachdenken über die Welt erfordert selbst im Selfie-Zeitalter einen gewissen Abstand vom eigenen Ich.

12.04.2019

3.5

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Kommentare

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erau

vor 5 Jahren

Ein sehr schwerer und düsterer Film. Die schlechtesten Nachrichten der letzten 50 Jahre ohne sichtbares Konzept nocheinmal zusammengefasst. Dazwischen autobiografische Momente. Mir fehlen Zusammenhänge und alternative Erkenntnisse zu der Hoffnungslosigkeit, welche der Film bei uns hinterlassen hat.
Herr Labhart, wir sind etwa im selben Alter und ich frage Sie : wozu dieser Film?Mehr anzeigen


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