They Shall Not Grow Old Neuseeland, Grossbritannien 2018 – 99min.
Filmkritik
Vergangen, aber nicht vergessen
Zum 100. Jahrestag des Endes des Ersten Weltkriegs bringt der «Herr der Ringe»-Regisseur Peter Jackson einen eindringlichen Dokumentarfilm in die Kinos, mit restauriertem und koloriertem Filmmaterial und den Stimmen der Soldaten, die die Hölle überlebt haben.
Als der Oscar-gekrönte Regisseur Peter Jackson (Herr der Ringe) vom britischen Imperial War Museum angefragt wurde, ob er 100 Jahre nach Ende des ersten Weltkriegs mit den Unmengen von archiviertem Material etwas anfangen könne, konnte niemand ahnen, was der Meister der Visual Effects abliefern würde. They Shall Not Grow Old ist eine sehr persönliche, brutale und visuell umwerfende Dokumentation der Erfahrungen einfacher britischer Männer, die jung und naiv in den Krieg zogen, ihn entgegen aller Widrigkeit überlebt haben und hundert Jahre später in ihren eigenen Worten darüber berichten.
Dokfilme über Kriege sind nicht jedermanns Sache. Die unzähligen Daten und Fakten, unscharfen schwarz-weiss Bilder und Vielzahl von Historikern, die uns jedes Detail der Schlachten erklären wollen, machen das Genre oft mühselig und langweilig. Jackson ist kein Historiker. Ihn interessieren die Geschichten der Männer, die in den ersten Weltkrieg zogen. Ihre Stimmen wurden in den 60er-Jahren auf Tonband aufgezeichnet und warteten im britischen Kriegsmuseum während Jahrzehnten, um gehört zu werden. Die Soldaten hatten keine Ahnung, worauf sie sich einliessen. Obwohl das Einzugsalter bei 19 Jahren lag, waren viele der Freiwilligen weitaus jünger. „Es erschien mir wie ein grosses Spiel“, erinnert sich der eine und „Ich hoffte, ich würde im Krieg lernen, für mich selber zu sorgen“, meint ein anderer. „Zu Hause hat das immer meine Mutter gemacht.“
Wir begreifen schnell, dass diese naiven Teenager viel zu grün waren, um mit dem Schrecken eines Weltkriegs umgehen zu können, und es graut uns beinahe vor dem, was zwangsläufig kommen muss. Sobald die jungen Briten das Schlachtfeld betreten, wechselt Jackson plötzlich, ähnlich wie Dorothy in Der Zauberer von Oz, von den tonlosen, schwarz-weissen Originalaufnahmen zu farbigen, scharfen 3D-Bildern, in denen die Soldaten sprechen. Lippenleser wurden engagiert und Schauspieler haben die Worte der Soldaten synchron gesprochen. Jackson hat alle technischen Register gezogen, um diesem alten Filmmaterial Aktualität zu verleihen und neues Leben einzuhauchen.
Obwohl kaum Filmmaterial der eigentlichen Schlachten vorhanden ist – die von Hand gekurbelten Kameras waren damals zu schwerfällig, um sie übers Schlachtfeld zu schleppen – vermittelt der Film auf anschaulichste Weise, wie brutal und nutzlos dieser Krieg war. Die kolorierten Bilder toter Tiere und Menschen, tausender von Ratten, die sich jede Nacht in den Schützengräben an die Leichen machen, oder des knallroten Blutes verletzter Soldaten, das ihre weissen Kopfbandagen tränkt, gehen unter die Haut. Die Augenzeugenberichte der Soldaten, die plötzlich dem deutschen Feind, der genauso jung und unerfahren war wie sie, gegenüberstehen, sind bestürzend und die eine Geschichte eines Soldaten, der 50 Jahre später noch immer zu schluchzen anfängt, wenn er davon erzählt, wie er einen Deutschen erschoss, ist schwer abzuschütteln. Auch wenn sich die Technologie ändert, die Schrecken des Krieges sind damals wie heute dieselben.
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Kommentare
Eine Lehrstunde - gegen das Vergessen auch. Ob heute sich nicht auch viele begeistert ins Abenteuer stürzten... Und das schwarz/weiss Denken erst an der Front dem Blutrot wiche? (Lieder hab ich verpasst, eine 3D-Vorführung zu suchen)...
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