X&Y Dänemark, Schweden 2018 – 112min.
Filmkritik
Wer bin ich, wenn nicht ein(e) andere(r)?
Die schwedische Künstlerin Anna Odell erforscht in der Begegnung mit dem Schauspieler Mikael Persbrandt Geschlechteridentität(en). Ihr Film erforscht höchst unterhaltsam das Verhältnis von eigener und fremder Wahrnehmung sowie die Übergänge von Fiktion und Wirklichkeit, erweist sich letztlich aber als kluge Reflektion über das Funktionieren des Kinos.
Die Künstlerin Anna Odell vereinbart mit dem Schauspieler Mikael Persbrandt einen Film zu drehen, in welchem sie ihre Identität(en) ausloten. Die Vorbereitungen für diesen Film geschehen im Rahmen eines Kunstprojekts, bei welchem sechs Schauspieler verschiedene Seiten von Annas und Mikaels Persönlichkeiten verkörpern. So gibt es nebst der echten Anna eine schüchterne, eine unbekümmerte und eine reflektierte Anna, nebst dem echten einen selbstsicheren und einen aufbrausenden Mikael sowie einen Mann, der Mikaels zarten Seiten verkörpert.
Um die verschiedenen Persönlichkeiten miteinander agieren zu lassen, baut man ein Set mit verschiedenen Raumeinheiten. Zwei Schlafzimmer mit Garderobe und Dusche, in welchen Anna und Mikael mit ihren Alter Egos wohnen. Ein Esszimmer, einen Verhörraum, kleinere Zimmer für intimere Gespräche. Nachdem Anna und Mikael den Rahmen ihres Projekts abgesteckt und die Filmproduzenten ihre Bedenken betreffend freizügiger Sexszenen angemeldet haben, ziehen Anna, Mikael und die Schauspieler ins Set ein, wo sie für eine Weile zusammen wohnen.
Anna Odell ist bekannt für ihre gesellschaftlich provokativen Werke, wie etwa der Film The Reunion, in dem sie als gemobbtes Mauerblümchen uneingeladen ein Klassentreffen stört. Provokant, klug und gewagt ist auch X&Y. Dies weniger wegen bereits erwähnter Sexszenen, welche das im Kino herkömmlich Gezeigte in verblüffender Weise unterlaufen, als vielmehr wegen der sich zunehmend in den Vordergrund schiebenden Frage, ob und was im Rahmen der Kunst möglich, in der Realität aber empört oder verboten ist.
Im Agieren der Figuren, die sich bald verführen, bald streiten und mit Annas „Kunstbaby“-Wunsch ebenso auseinandersetzen müssen wie mit ihren Neurosen und Mikaels Ängsten, ist X&Y eine unterhaltsame Auslegung herrschender Geschlechterverhältnisse. Dabei lotet der Film unablässig das Verhältnis von Selbst- und Fremdwahrnehmung sowie die Grenzen von Fiktion und Wirklichkeit aus und entpuppt sich letztlich als kluge und smarte Reflektion über Film als oszillierende Kunstform, in der Wirklichkeit immer auch Fiktion, Fiktion immer auch Wirklichkeit ist.
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