Der Nackte König Schweiz 2019 – 108min.
Filmkritik
Die Revolution frisst ihre eigenen Kinder
Revolution im Iran 1979, Proteste in Polen 1980. Alte Herrschaftsstrukturen werden umgestürzt. Der Schah wird vertrieben, das polnische Staatssystem erschüttert. Andreas Hoessli folgt den Spuren der Aufrührer und Machtinhaber, der Täter und Opfer. Ein Zeitbild 40 Jahre danach, erzählt von Bruno Ganz.
Er war einst Korrespondent für verschiedene Schweizer Zeitungen in Osteuropa, so auch in Polen. Dort lernte der Zürcher Andreas Hoessli den Reporter und Journalisten Ryszard Kapuściński kennen. Er ist einer der bekanntesten und am häufigsten übersetzten Autoren Polens. Sein Buch «Schah-in-Schah» (1982, deutsch 1986) befasst sich mit den Mechanismen der Macht und des Fundamentalismus. Der Pole war 1979 nach Teheran gereist, um über die Revolution zu berichten. Das Buch inspirierte Hoessli, und er lässt Passagen aus diesen Reportagen zitierten. Als Erzähler fungierte Bruno Ganz, wohl seine letzte Rolle.
Fast parallel geschahen die Umstürze in Persien 1979 und Polen 1980. Der Schah musste abdanken. Das polnische Regime musste sich der Bewegung Solidarność beugen – für 18 Monate. Hoessli war selbst Zeitzeugen der Rebellion in Polen, kannte viele Beteiligte, stand selber unter Geheimdienstbeobachtung. Er verknüpfte die beiden sehr unterschiedlichen Ereignisse in seinem Film, um das Wesen der Revolution zu erkunden. Gut gemeint, aber nicht einleuchtend.
Hoessli ist tief in die Archive gestiegen, hat die Schauplätze der Ereignisse, Betroffene, Täter wie Opfer aufgesucht. Da treten beispielsweise der Chauffeur Chomeinis auf, der Minister der Revolutionswächter wurde, ein Schauspieler, der im Dienste des polnischen Geheimdienstes tätig war, ein Wissenschaftler, der 1992 Leiter der polnischen Geheimdienstes wurde, ein polnischer Sozialwissenschaftler, der 1981 das Vermögen der Gewerkschaft Solidarność versteckte, oder die Sprecherin der iranischen Studentenbewegung, 1970 zur Vizepräsidentin des Irans ernannt. Sie alle verteidigen, beschönigen, verklären die Revolution und blicken unkritisch zurück.
Das Anliegen des Filmers und Zeitzeugen Hoessli ist es, Strukturen der Macht zu skizzieren, Rebellion und Bewegungen dagegen. Das geschieht akribisch, und doch kann sein Film Der nackte König nicht befriedigen. Ein Herrscher (Iran) wurde abserviert, andere traten an dessen Stelle; das polnische Regime wurde erschüttert und doch wieder mit Militärgewalt etabliert. Die Frage nach den Folgen wird nur angetippt, nicht erläutert. Es ist ein Manko, dass etwa der polnische Gewerkschaftsführer Lech Walęsa zur Randfigur und nicht einbezogen wurde. Am Ende bleibt das bittere Fazit: Die Revolution frisst ihre eigenen Kinder – so war es bei der Französischen Revolution, und so geschah es offensichtlich auch im Iran und in Polen.
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