Il traditore Brasilien, Frankreich, Deutschland, Italien 2019 – 151min.
Filmkritik
Wegweisender Prozess
Marco Bellocchios episches, dialoglastiges Drama schildert die Hintergründe und den Verlauf eines beispiellosen Mammutverfahrens gegen das organisierte Verbrechen in Italien.
Anfang der 80er-Jahre tobt auf Sizilien ein Krieg zwischen den Mafia-Clans. Mittendrin: Tommaso Buscetta (Pierfrancesco Favino), der seit seinem 18. Lebensjahr ein Mitglied der Cosa Nostra ist. Buscetta wird es zu gefährlich, weshalb er nach Brasilien übersiedelt. Doch die brasilianische Polizei spürt ihn auf und liefert ihn in die Heimat aus. Dort entscheidet er sich für einen radikalen Schritt: Als eines der ersten ranghohen Cosa-Nostra-Mitglieder bricht er mit dem Gelübde und sagt ab 1986 als Kronzeuge in den Maxi-Prozessen aus. Buscettas Zusammenarbeit mit der Justiz ermöglicht die Verurteilung hunderter Mafiosi.
Mit Il traditore setzt sich im italienischen Kino ein Trend fort, der vor wenigen Jahren mit den Arbeiten von Claudio Giovannesi seinen Anfang nahm: die (filmische) Aufarbeitung der Verbrechen und illegalen Machenschaften, mit denen Organisationen wie die Cosa Nostra und die N’drangheta Italien bis heute in Atem halten. Marco Bellocchio geht es darum, die Skrupellosigkeit der Mafiosi ebenso wie die Ignoranz und Durchtriebenheit der Politik aufzuzeigen, die jahrzehntelang viel zu nachsichtig mit den Paten umging und sie gewähren liess.
Bellocchio, der wie gewohnt auf eine kraftvolle Bildsprache setzt, zeigt dies anhand des ungeheuren politischen wie gesellschaftlichen Widerstands. Zum einen gegen die Ermittlungen, zum anderen gegen die spektakulären Prozesse selbst. Sie gehörten zu den umfangreichsten, die jemals gegen das organisierte Verbrechen geführt wurden. Fesselnd und eindringlich gestalten sich die Szenen der Verhandlungen, die klar den Schwerpunkt bilden. Mit schnörkelloser Direktheit und einer beachtlichen Sachlichkeit schildert Bellocchio die Ereignisse vor Gericht.
Bei der Vielzahl bekannter Mafiosi und am Prozess beteiligter Figuren droht jedoch die Gefahr, den Überblick zu verlieren – gerade für Zuschauer, die mit den Geschehnissen weniger vertraut sind. Absolut unverzichtbar aber ist es, dass Bellocchio jene Personen berücksichtigt, die ihr Leben dem Kampf gegen die Mafia widmeten. Und mit dem Tod bezahlten. Darunter der engagierte Ermittlungsrichter Giovanni Falcone, der 1992 ermordet wurde.
Eine Herausforderung ist es, Sympathien für die undurchsichtig und höchst ambivalent auftretende Hauptfigur zu entwickeln. Tommaso Buscetta brachte als Kronzeuge zwar etliche Verbrecher ins Gefängnis. Freiwillig oder aus einem ehrbaren Gerechtigkeitssinn heraus entschied er sich jedoch nicht für seine Aussagen. Bis zum Schluss bleibt er widersprüchlich sowie unnahbar und hat stets den eigenen Vorteil im Blick.
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